DIE JOHANNES-RITTER

VON SAN JUAN DE LA PEÑA


III. Das Königreich Aragón,

der Jakobsweg und die Tempelritter


GARCÍA II. JIMÉNEZ, der zweite »König« der Johannes-Ritter von »Sobrarbe«, hatte sich 884 mit Dadilda von Pallars vermählt. Ihr Sohn Sancho I. Garcés (gest. 925) war der erste König von Pamplona-Navarra aus der Dynastie der Jiména. Diesem Geschlecht entsprang auch Sancho III. Garcés »der Große«, der von 1004 bis 1035 als König über Navarra und Aragón regierte. Damals erlebte Nordspanien eine kulturelle Blüte; unter Sancho III. wurden fast alle bis zu diesem Zeitpunkt durch die Reconquista zurückgewonnenen christlichen Gebiete zu einem Reich vereinigt. Ein enger Vertrauter des Königs war Oliba (1008-1047), der bedeutende Abt von Ripoll und Bischof von Vic, der aus der Familie der Grafen von Katalonien stammte. Der Initiative Olibas war es in erster Linie zu verdanken, daß sich die katalanischen Benediktinerklöster von Ripoll, Cuxa und Montserrat zu herausragenden Stätten des abendländischen Geisteslebens entwickelten. In Ripoll, das eine für damalige Verhältnisse überdurchschnittlich reiche Bibliothek besaß, arbeitete eine Übersetzerschule, die arabische und griechische Traktate mathematischen, astronomischen oder medizinischen Inhalts in die lateinische Sprache übertrug und dadurch den Europäern zugänglich machte.3 Oliba war es auch, der einen seiner Mönche mit Namen Ponce zu Sancho III. entsandte, um den König davon zu überzeugen, daß der geistige und kulturelle Austausch zwischen der iberischen Halbinsel und dem übrigen Europa intensiviert werden könnte, wenn Sancho sein Reich für die Klosterreform von Cluny öffnen würde. Der König befolgte den Rat und beauftragte Legaten, Kontakt zu dem großen Abt Odilo im burgundischen Cluny zu knüpfen. Daraufhin gelangten im Jahr 1025 die ersten kluniazensischen Mönche nach S. Juan de la Peña.

Nach dem Tod von Sancho III. im Jahr 1035 wurde das hispanische Reich unter den vier Söhnen aufgeteilt. Aragón fiel auf diese Weise an Ramiro I. (1035-63) und wurde zu einem eigenständigen Königreich erhoben. Unter Ramiro verstärkten sich die verwandtschaftlichen Beziehungen der Adelsgeschlechter dies- und jenseits der Pyrenäen; er selbst nahm in erster Ehe Gilberga zur Frau, die Tochter von Bernat-Rogers (981-1036), dem Grafen von Foix, Comminges, Couserans und Bigorre, auf dessen Territorium damals die erste Burganlage auf dem Montségur entstand.4 Die dritte Tochter von Graf Bernat-Rogers hieß Clemencia; sie verband sich mit Adalbert (gest. 1048), dem Herzog von Oberlothringen aus dem Geschlecht der Matfriden. Direkte Nachfahren dieses Paares waren die Könige von Kastilien und Portugal, Kaiser Karl IV. aus dem Haus Luxemburg und Kaspar Hauser aus dem Geschlecht der Zähringer; Nachfahren des Bruders von Adalbert waren Dietrich von Elsaß und sein Sohn Philipp, der »Meister« von Chrestien de Troyes!5 Als Ahnherr des sogenannten »Matfriden-Geschlechts« in Lothringen gilt Matfrid von Orléans (gest. 837), dessen Schwester Ava zu Beginn des 9. Jahrhunderts den Etichonen Hugo von Tours (gest. 837) geheiratet hatte.6

Schon im Jahr 823 hatte Matfrid dem Kloster Sta. Grata (Sta. Maria de Senterada) in der Grafschaft Pallars auf der Südseite der Pyrenäen ein kaiserliches Privileg ausgestellt. Was ihn zu diesem Schritt veranlaßte, ist aus den Quellen nicht zu erschließen. Eines ist jedoch auffallend: Auf dem Boden von Pallars, in Tirvia und Burg, finden sich mit die frühesten Spuren der Verehrung von Maria Magdalena im Abendland, die in die ersten Jahrzehnte des 9. Jahrhunderts zurückreichen.7

Die erhöhte Maria von Magdala erscheint in unserem Zusammenhang wie eine Entsprechung zu Blanchefleur-Condwîrâmûrs, Perceval-Parzivals Seelenbraut: als von dem süezen touwe / diu rôse ûz ir bälgelîn / blecket niuwen werden schîn, / der beidiu wîz ist unde rôt. (»Sie war wie eine Rose, vom süßen Tau erquickt, die aus ihrem Knösplein einen frischen herrlichen Schein gibt, weiß und rot zugleich.« »Parzival« 188, 10-13.) Perceval-Parzival, selbst »Sohn einer Witwe«, wird sich der »Maria Magdalena seines Wesens« erst wieder bewußt, als er »am dritten Morgen« drei von einer Wildgans vergossene rote Blutstropfen in Form eines Dreiecks auf dem weißen Schnee erblickt und darin das Antlitz seiner Braut erkennt (»Parzival« 282,4-283,23): Blanchefleur-Condwîrâmûrs, qui conduit son amour, die seine sehnende Liebeskraft erhöht, mit erkennender Weisheit, die durch Leid errungen wurde, durchdringt und in rechter Art zum Gral lenkt.9

War nun die von Matfrid geförderte Abtei Sta. Maria in Pallars etwa ein erstes Magdalenen-Kloster? Jedenfalls ist die Einführung des Magdalenenkultes zutiefst mit den Familien der Etichonen und Matfriden verbunden. Um 866 gründeten Gerard von Vienne und seine Frau Berthe, der Schwiegersohn und die Tochter des Hugo von Tours, das Frauenkloster Vézelay in Burgund, das allerdings erst 1049 von Papst Leo IX., einem Etichonen, ausdrücklich mit dem Magdalenen-Kult in Verbindung gebracht wurde. Im selben Jahr weihte Leo IX. das Kloster Sancta-Maria-Magdalena zu Verdun in Oberlothringen, wo damals der Matfride Adalbert und seine Frau Clemencia von Foix herrschten.

 

 

3 Hier studierte auch Gerbert von Aurillac (938-1003), der spätere Papst Silvester II. und Vertraute von Kaiser Otto III., der die antik-orientalischen Wissenschaften nach Chartres vermittelte.

4 Rogers I., Graf von Carcassonne, Razès, Couserans und Comminges (949-nach 1011), übergab seiner Frau Azalaïs und seinem Sohn Bernat-Rogers die Lehnsherrschaft über den Sabarthès, die Landschaft südöstlich der Burg von Foix am Oberlauf der Ariège, wo die Höhlen von Ornolac liegen, sowie über das Pays d'Olmes zwischen Mirepoix im Norden und dem Pic St.-Barthélemy (Tabe) und dem Montségur im Süden -- im 12. und 13. Jh. die spirituellen Zentren der Katharer. Bernat-Rogers ließ sich schließlich auf der Burg von Foix nieder und begründete damit die Grafschaft gleichen Namens. Seine Schwester Ermesenda heiratete im Jahr 1001 Ramón Borrell I. (972-1018), den Grafen von Barcelona-Katalonien. Ein Bruder, Peire-Rogers, wurde 1011 Bischof von Girona; eine andere Tochter von Bernat-Rogers, Estefania, war mit dem König von Navarra, García V., verheiratet, dem Bruder von Ramiro.

5 M. Szabolcs de Vajay, »Étiennette, dite de Vienne, comtesse de Bourgogne«, in: Annales de Bourgogne 32 (1960), S. 233-266; Georges Poul, »Les Ducs de Lorraine du Moyen-Age (XIe au XVe siècle).« Rupt-sur-Moselle 1967, S. 6 (= Les Cahiers d'Histoire, de Biographie et de Généalogie 3).

6 Walter Johannes Stein wies in seinem Buch über das 9. Jahrhundert als erster auf die enge Beziehung von Hugo und Matfrid zum Gralsgeschehen hin. »Weltgeschichte im Lichte des Heiligen Gral«, S. 36-82.

7 Paulette Duval, »La Pensée alchimique et le Conte du Graal«, Paris 1979, S. 153-213; Victor Saxer, »Le culte de Marie Madeleine en Occident«, Auxerre-Paris 1959, Bd. I, S. 60ff.

Maria mit der Schale.jpg

Maria (Magdalena) mit der Schale, die das Salböl (Blut) der Feuertaufe enthält
Fresko (um 1123) aus S. Climent in Taüll (Pallars, Katalonien)

Anfang des 11. Jahrhunderts wuchs die Bedeutung der Handelsstraße, die Narbonne, Toulouse und Auch über Oloron Sainte-Marie und den Pyrenäenpaß Col du Somport mit Jaca und Pamplona verband. Maßgeblich gefördert von Abt Odilo in Cluny und den Cluniazensern in Aragón, wanderten auf dieser Straße immer mehr Pilger bis an die nordwestliche Spitze Kontinentaleuropas, zur Finisterra in Galizien, um das Grab des hl. Jakob in Santiago de Compostela aufzusuchen. Seit etwa 650 galt der »Donnersohn« Jakobus der Ältere, einer der vier erstberufenen Jünger Jesu, in der lateinischen Überlieferung als Apostel Hispaniens und des Okzidents im allgemeinen (Hispaniae et occidentalium locorum).

Spätere Legenden, die erstmals für das Jahr 865 nachzuweisen sind, wußten bereits zu berichten, daß nach Jakobs Märtyrertod in Palästina sein Leichnam im Inneren einer Arche oder Barke aus Stein in sieben Tagen über die Meeresfluten nach Padrón an die galizische Küste gelangt sei. Wie Johannes den Täufer, so hatte man auch Jakobus enthauptet; war Herodias die dunkle Gegenspielerin des Täufers, so tritt in Galizien die Königin Luparia (»Wölfin«) der sterblichen Hülle Jakobs feindlich entgegen. In Santiago habe der Leichnam schließlich seine letzte Ruhestätte unter einer Steinplatte gefunden, die wie weiches Wachs schmolz und gleich einem Tempelbau die Form seines Leibes nachbildete. Die Anklänge an Noah und seine Arche oder an den salomonischen Tempelbau, in dem die heilige Bundeslade (Arche) aufbewahrt wurde, sind kein Zufall. Alle Impulse, die während des Mittelalters von Santiago ausstrahlen sollten, waren mit dem Ideal verknüpft, den äußeren Tempelbau in seinen Zahlenverhältnissen als Entsprechung zum erstrebten »inwendigen Tempel«, dem Allerheiligsten der Seele, zu errichten, als ein Bild des Mikrokosmos, das seinerseits als Abbild des göttlichen Makrokosmos verstanden wurde.11

Um 820 wurden die angeblichen Reliquien des Apostels Jakob in Santiago »entdeckt«. Späteren Überlieferungen zufolge sei der hl. Jakob 844 den christlichen Truppen unter König Ramiro während der Schlacht von Clavijo erschienen12, in der die Mauren vernichtend geschlagen wurden. Der eigentliche Jakobskult begann jedoch erst unter der Regentschaft des Königs von Asturien, Alfonso III. (886-910).13 Mit Godescalc, dem Bischof aus Puy, der 951 »mit großem Gefolge« das Grab des Apostels besuchte, sowie der Pilgerreise des Erzbischofs von Reims, Hugo von Vermandois, im Jahr 961, gewann Santiago an Prestige. Bald hieß der Jakobsweg la voie lactée, »die Milchstraße«. Die Pilger folgten diesem Weg, um zu einem fünfstrahligen Stern zu gelangen, denn Santiago de Compostela steht für Sanctus Iacobus compos stellae (»Meister, Herrscher des Sterns; der den Stern besitzt«). Als feste Attribute des hl. Jakob von Compostela wurden neben der an einen Gänsefuß erinnernden Muschel, dem fünfstrahligen Stern und dem Abacus, dem »Meisterstab«, stets ein Hund als Begleiter des Apostels dargestellt. Am Ende der galaktischen Milchstraße befindet sich das Sternbild des Großen Hundes; dessen Hauptstern ist Sirius, »der hocherhabene, (...) der die Wasser [der Weisheit] weithin strömen läßt«.

Der Weg nach Compostela nahm auf die Entwicklung der Baukunst im Abendland einen außerordentlichen Einfluß. Louis Charpentier hat in seinem anregenden Buch die Pilgerfahrt als Einweihungsweg der Baumeister und Handwerker gedeutet - eine These, die allein aus dem Grund schon aufschlußreich ist, weil Spanien ja als Land des Tubal-Kain galt, der in einer Arche vom Orient nach Nordspanien gelangt sein soll.

    »Der Jakobsweg ist vor allem ein Weg der Bauleute, und ich halte es für wahrscheinlich, daß die Mehrzahl der großen abendländischen Baumeister des Mittelalters diesen Weg begangen haben, - ob sie nun Mönche oder Laien waren.«14

Zeitgleich mit dem Beginn der großen Wallfahrten nach dem Epochenjahr 1000 kam es zur Blüte des romanischen Kirchenbaus, was den zeitgenössischen Kluniazensermönch Rudolphus Glaber zu der berühmten Feststellung veranlaßte:

    »Es war, als ob die ganze Erde ihre hinfällige Vergangenheit abschüttelte und sich in einen weißen Mantel von Kirchen hüllte.«15

Charpentier hat ferner darauf hingewiesen, daß ein großer Teil der romanischen Kirchenbauten entlang des Jakobsweges mit dem Christus-Monogramm, dem sogenannten »Chrismon«, geschmückt sind, das sich meist an prominenter Stelle auf dem Tympanon befindet. Die traditionelle Deutung des Chrismons lautet: CR AW = Christus est Alpha et Omega. Liest man dieses Monogramm jedoch in horizontaler Richtung, kann man IAXW = Iakho = Jakob entziffern; liest man es kreisförmig, so bedeutet es RWSA X = Rosa-Crux.16

Montségur

Montségur

(zur Vergrößerung anklicken
click to enlarge)


9 Vgl. Duval, »La Pensée alchimique et le Conte du Graal«, S. 337, 348.

11 Vgl. M.-M. Davy, »Initiation à la symbolique romane. (XIIe siècle)«, Paris 1977, S. 175-189; Jean-Pierre Bayard, »La Tradition cachée des cathédrales. Du symbolisme médiéval à la réalisation architecturale«, St.-Jean-de-Braye 1990, S. 87ff.

12 In Wirklichkeit fand die Schlacht von Clavijo erst 859 unter Ordoño I. statt.

13 R. A. Fletcher, »Saint James's Catapult. The Life and Times of Diego Gelmírez of Santiago de Compostela«, Oxford 1984; Yves Bottineau, »Les chemins de Saint-Jacques«, 3. Aufl. Paris 1983; James Stone, »The Cult of Santiago. Traditions, Myths, and Pilgrimages«, London 1927; Jacques Chocheyras, »Saint Jacques de Compostelle«, Rennes 1985.

14 Louis Charpentier, »Les Jacques et le mystère de Compostelle«, Taschenbuchausgabe Paris 1979, S. 120. (Dt. Übersetzung: »Santiago de Compostela. Das Geheimnis der Pilgerstraßen«, Olten-Freiburg/B. 1979.) Vgl. auch Rafael Alarcón Herrera, »A la sombra de los Templarios. Interrogantes sobre esoterismo medieval«, Barcelona 1986.

15 Zit. nach Chocheyras, »Saint Jacques de Compostelle«, S. 125.

16 Vgl. Charpentier, »Les Jacques«, S. 127ff.

ChrismonTau & Chrismon

Entwicklung vom Tau-(Ankh-) Kreuz zum Chrismon
Man beachte, daß im Chrismon das »S« nicht in griechischer,
sondern in lateinischer »Schlangen«-Form dargestellt ist!

Die Konstrukteure und Handwerker, die in Südfrankreich (Occitanien) und Nordspanien zwischen dem 11. und 13. Jahrhundert diese Kirchen schufen, gehörten einer Bauhütte an, die in späterer Zeit den Namen les Enfants du Maître Jacques (»Kinder von Meister Jakob«) trug. Die Ursprungslegende der französischen Compagnons, die Johannes den Täufer als ihren Patron erwählt hatten, führt »Meister Jakob« auf jenen Vorarbeiter zurück, der unter der Leitung von Hiram Abiff die Säulen Jakin und Boas (»Weisheit und Stärke«) am salomonischen Tempelbau errichtete und später mit 12 Compagnons und 40 Schülern über das Meer nach Marseille in die Provence gelangte, um sich in der Einsiedelei von Sainte-Baume niederzulassen.17 Im 16. Jahrhundert, zur Zeit der Religionskriege, ging aus den »Kindern des Meisters Jakob« in Südfrankreich eine Gilde von Handwerkern hervor, deren zumeist protestantische Mitglieder sich Gavots18 nannten und sich der Regel der »Kinder von Salomon« unterstellten.

Ein Baumeister, dessen Schaffen eng mit dem Jakobsweg verbunden scheint, war der »Meister von Jaca«. Er errichtete nach 1060 die Kathedrale des neuen Bistums von Jaca und die Klosterkirche von Sta. Cruz de la Serós. Als Erkennungszeichen pflegte er im Türsturz des Hauptportals das von zwei Löwen umrahmte Chrismon zu hinterlassen. In Jaca wurde zur Erläuterung die Inschrift eingemeißelt:

    »In dieser Skulptur, o Leser, bemühe dich zu erkennen: P ist der Vater, A der Gezeugte, Duplex [W = Omega] der Nährende, Segnende Geist. Diese drei sind wahrhaft der eine und einzige Herr.«20

Auf dem Chrismon von Sta. María, der Kirche des Nonnenklosters in Sta. Cruz de la Serós am Fuß der Sierra de la Peña, die 1070 von Sancha Ramírez, der Tochter von König Ramiro I., gestiftet wurde, ist zu lesen:

    »Ich bin das Tor der Seligkeit. Tretet durch Mich ein, ihr Gläubigen. Ich bin der Quell des Lebens; dürstet nach Mir mehr als nach Wein, ihr alle, die in diesen seligen Tempel der Jungfrau eindringt.«21

17 Jean-Pierre Bayard, »Le Compagnonnage en France«, Paris 1977, S. 37-57, 85ff., 188f.; Charpentier, »Les Jacques«, S. 92ff. In Sainte-Baume soll eigentümlicherweise auch Maria Magdalena, die der Legende zufolge gemeinsam mit Martha und Salome in die Provence gekommen war, bis zu ihrem Tod als Büßerin ein Einsiedlerleben geführt haben!

18 Gavots kommt von occitanisch gava, »Schlucht«, »tiefer Gebirgswasserlauf«. Noch heute heißen die Pyrenäentäler zwischen Tarbes und Pau nach der alten lokalen Bezeichnung gave.

20 Angel Canellas, Angel San Vincente, »Aragón roman«, La-Pierre-qui-vire 1971, S. 159; François Taillefer, »Les Pyrénées. De la montagne à l'homme«, Toulouse 1974, S. 187f.

Chrismon von Jaca.jpg

Chrismon der Kathedrale von Jaca (Aragón)

(zur Vergrößerung anklicken / click to enlarge)

Aragón nahm an den Anfängen des europäischen Städte- und Handelswesens unmittelbar teil. Der Sohn von Ramiro I., Sancho Ramírez (1063-1094 König von Aragón, 1076-94 auch König von Navarra), eroberte von den Mauren die Gebiete bis Huesca zurück, ließ in Jaca eine königliche Residenz erbauen und rief Kaufleute und Handwerker aus der Gascogne und aus Toulouse in das Land. Mit Hilfe einer geschickten Heiratspolitik knüpften er selbst und seine Kinder verwandtschaftliche Bande nach Kastilien, Burgund und in die Normandie, nach Aquitanien und Italien. Zur selben Zeit, als von den Herrschern Polens, Böhmens und Ungarns Bürger und Bauern aus Westmitteleuropa angeworben wurden, die das brachliegende Land im Osten erschließen sollten, setzte auch in zurückeroberten Gebieten Nordspaniens eine Welle von Stadtgründungen und Neubesiedlungen ein. Hier entfaltete sich jener Impuls, der durch Lohengrin im Auftrag der Gralshüter in das europäische Kulturleben getragen worden war, um der sich von den alten Feudalmächten emanzipierenden Welt des Bürgertums und des Handels den Boden zu bereiten.

Als er das Ende seines Lebens herannahen fühlte, zog sich Sancho Ramírez nach San Juan de la Peña zurück; an der Seite seines Vaters wurde er dort begraben. Auch im Höhlenkloster geschahen einschneidende Veränderungen: 1071 besuchte der Legat des Papstes Alexander II., Kardinal Hugo Candidus, das Königreich; Ziel seiner Verhandlungen mit den aragónischen Würdenträgern war es, die sich auf der iberischen Halbinsel zäh behauptende westgotisch-mozárabische Liturgie endlich durch die römische ersetzen zu lassen, um im Abendland die Vereinheitlichung der Messe nach römischen Muster endlich zu vollenden. Tatsächlich wurde in S. Juan am 22. März 1071 erstmals auf der iberischen Halbinsel die römische Liturgie zelebriert. Doch es bildete sich auch Opposition gegen diese Maßnahme. Die daraus erwachsenden Streitigkeiten wurden erst geschlichtet, als der Abt Aquilino in Rom die Zusage erhielt, daß das Kloster unmittelbar dem Heiligen Stuhl unterstellt und damit jedem Zugriff von außen entzogen werde. Damit war dem Kloster von S. Juan eine kirchenrechtliche Sonderstellung eingeräumt worden. Wenig später wurde das Kloster großzügig erweitert. Oberhalb der Doppelkirche errichtete man einen Bau im romanischen Stil, dessen Altäre 1094 geweiht wurden. San Juan diente nun als Pantheon der aragónischen Könige, wurde mit großen Gütern und Ländereien bedacht und erfreute sich Rom gegenüber großer Unabhängigkeit, -- ja es galt sogar als kirchenrechtlicher Ausnahmefall. Damals legte man fest, daß die Bischöfe von Aragón zugleich Mönche von S. Juan zu sein hatten.


Das geistige Erbe der »Johannes-Ritter« wurde von den Templern weitergetragen, die Anfang des 12. Jahrhunderts nach Aragón kamen. Der Tempelritter-Orden erhielt in Spanien zwischen 1128/30 und 1136 nicht weniger als 36 bedeutende Schenkungen.23 In jenen Jahren wurde auch der Abendmahlskelch von S. Juan zum erstenmal erwähnt. Seit 1143 kämpften die Templer auf der iberischen Halbinsel gegen die Mauren und nahmen an der aragónischen Reconquista bis zur Eroberung des Königreichs von Valencia teil. Als zusätzliche Aufgabe wurde ihnen die Sicherung des stark frequentierten Pilgerwegs nach Compostela anvertraut.

Der größte Gönner der Tempelritter in der Corona de Aragón war der König in eigener Person: Alfonso I. »der Kämpfer« (1104-1134), zweiter Sohn von Sancho Ramirez, der in den Jahren 1118/19 Zaragoza, Tudela und Tarazona befreite und die Grenze des christlichen Spanien bis an den Ebro vorschob. Eigentümlicherweise wird er in lateinischen Urkunden bisweilen Anfortius oder Anfors genannt. Seinen Vetter ersten Grades, Rotrou I. (gest. 1144), Graf von Val Perche (Normandie) und Chartres, 1097-1100 Teilnehmer am Ersten Kreuzzug in das Heilige Land, setzte Alfonso 1121 als Regent von Tudela ein. Der bewaffnete Kampf, den diese Männer gegen die Mauren führten, hinderte jedoch nicht den geistigen Austausch, und so gelangte damals in verstärktem Maße orientalisches Wissen von Toledo über Tudela in die Schule von Chartres.24 Rotrou, der 1140 das Zisterzienserkloster von La Trappe stiftete, Johannes von Salisbury nahestand und in der Kathedrale von Chartres begraben wurde, war gemeinsam mit Alfonso über das Geschlecht der Roucy ein Vetter von Hugo de Payns, dem ersten Ordensmeister der Templer.25

Hier tritt also wieder der gleiche Menschenkreis in Erscheinung, auf den die Veröffentlichung der Gralsüberlieferung zurückzuführen ist; dieselben Menschen standen außerdem hinter der Begründung des Templerordens zu Jerusalem, dem Aufstieg der Akademie von Chartres im 12. Jahrhundert und der Impulsierung der Pilgerfahrten nach Santiago.

21 Zit. nach Canellas/San Vincente, »Aragón roman«, S. 233.

23 María Luisa Ledesma Rubio, »Templarios y Hospitalarios en el Reino de Aragón«, Zaragoza 1982; A. J. Forey, »The Templars in the Corona de Aragón«, London 1973.

24 Es ist nachgewiesen worden, daß Wolfram von Eschenbach Kontakte zu Vertretern der »Schule von Chartres« unterhalten haben muß, denn Anschauungen der Schule sind in sein Epos »Parzival« eingeflossen. Vgl. Bernhard D. Haage, »Prolegomena zum Einfluß der »Schule von Chartres« auf Wolfram von Eschenbach«, in: »Ûf der mâze pfat. Festschrift für W. Hoggmann zum 60. Geburtstag«, hrsg. v. Waltraud Fritsch-Rössler, Göppingen 1991, S. 149-169.

25 Vgl. André de Mandach, »Le Roman du Graal originaire. I: Sur les traces du modèle commun «en code transpyrénéen» de Chrétien de Troyes et Wolfram von Eschenbach«, Göppingen 1992, S. 17ff.

Templersiegel

(von links nach rechts)
Siegel der Templerkomturei von Huesca, 13. Jh.
Siegel der Templerkomturei von London, 13./14. Jh.
Gewölbebogenabschluß aus der Burg der Templer-Komturei von Ponferrada
(Prov. Léon, 12. Jh.)
Relief aus Santa Cruz de los Templarios (Prov. Cáceres, 13. Jh.)
Stein aus der Burg der Komturei von Fregenal (Prov. Badajoz, 12./13. Jh.)

König Alfonso unterhielt zu den Templern so herzliche Beziehungen, daß er, der ohne Thronerben geblieben war, im Testament vom 4. September 1134 festlegte, der Orden solle mit seinem Pferd und seinen Waffen sowie einem Drittel des Königreichs von Aragón beschenkt werden! Diese testamentarische Verfügung diente wahrscheinlich dem Zweck, zu verhindern, daß Aragón an König Alfonso VII. von Kastilien fallen würde, den Wunschkandidaten des Papstes. Das Testament ermöglichte dem jüngerem Bruder von Alfonso I., Ramiro II. »dem Mönch« (1075-1157), Abt von St.-Pons-Thomières im Languedoc, sein Gelübde drei Jahre lang ruhen zu lassen und 1134 den Thron zu besteigen. Noch im selben Jahr ehelichte er Agnès von Poitiers, die Tante Philipps von Elsaß; wenig später, im Jahr 1136, wurde ihnen eine Tochter namens Petronilla geboren. Ramiro regelte die Nachfolgefrage gewiß auch im Sinne der Templer, als er das erst einjährige Mädchen 1137 mit dem damals 24jährigen Grafen von Barcelona-Katalonien und der Provence, Ramón Berenguer IV. (1113-1162), vermählte. Nachdem Ramiro somit seine dynastische Pflicht erfüllt hatte, zog er sich 1137 hinter die Mauern des Klosters San Pedro el Viejo in Huesca zurück, wo er 1157 starb. Da die Templer und die Hospitaliter ihre testamentarisch festgelegten Ansprüche auf Aragón zugunsten von Ramón Berenguer zurückstellten, wurden Aragón und Katalonien in Personalunion vereinigt, die Königskrone von Jaca nach Barcelona übertragen.26 Anders als das streng-herbe Kastilien entwickelte sich Katalonien zu einem weltoffenen, schon früh von liberalem und bürgerlich-egalitärem Geist getragenen Handelsimperium, das, beständig dem Meer zugewandt, die großen Entdeckungsfahrten des 15. und 16. Jahrhunderts maßgeblich vorbereiten half.

Es hat seine tiefe Berechtigung, wenn Wolfram von Eschenbach die Gralsritter mit dem Namen templeis belegt. Auch die jüngsten Ergebnisse der philologischen Forschung bekräftigen, daß der Name templeis auf eine aragónisch-katalanisch-occitanische Sprachwurzel zurückzuführen ist, die Wolfram offensichtlich durch seinen Gewährsmann Kyôt den Provenzâl kannte; im linguistischen Grenzgebiet der Pyrenäen um Foix, Couserans, Pallars und Ribagorça findet man nämlich als Bezeichnung für »Templer« die Form templàs, templés.28

26 Bereits der Vater des frisch gekürten Königs, Ramón Berenguer III. »der Große« (1082-1131), war gegen Ende seines Lebens in den Tempelorden eingetreten und in der Kommanderie von Barcelona verstorben. Der Sohn leistete einen einjährigen Freiwilligendienst unter dem Banner des Tempels. Alain Demurger, »Vie et mort de l'ordre du Temple 1118-1314«, 2. Aufl. Paris 1989, S. 60f. (Dt. Übers.: »Die Templer. Aufstieg und Untergang 1120-1314«, 4. Aufl. München 1994.)

28 Vgl. Henry und Renée Kahane, »The Krater and the Grail. Hermetic Sources of the Parzival«, Urbana/Ill. 1965, S. 153f.; Mandach, »Le Roman du Graal originaire«, S. 73f.

Tau 1Tau 2

(links) Gewölbebogenabschluß aus der Burg der Templer-Komturei von Ponferrada
(Prov. Léon, 12. Jh.)
(rechts) 12 Tau-Kreuze in der Westrose der Klosterkirche San Antón
(Castrojeriz, Prov. Burgos, 13. Jh.)

Gerade im nördlichen Spanien zeigte sich, daß der Templer-Orden, der den Namen von seiner Gründungsstätte, dem einstigen Standort des salomonischen Tempels zu Jerusalem empfangen hatte, eine Vorliebe für bestimmte architektonische Formen an den Tag legte und die Entwicklung des Bauhüttenwesens finanziell und personell förderte. In der Verwirklichung des wahrhaft christlichen Tempelbaus erblickten die Ritter ein hohes Ideal.

In Anlehnung an den Jerusalemer Felsendom, wo sich das Hl. Grab befindet, wurden die bemerkenswertesten Ordenskirchen als Rotunden errichtet, manchmal aber auch in oktogonaler Form, so etwa die um 1150/60 entstandene »Maria-Sophia-Kapelle« Nostra Señora de Eunate in Navarra mit ihren geheimnisvollen Steinskulpturen. Gerade in Spanien und Portugal tragen die offiziellen wie die »apokryphen« Templer-Bauten besonders häufig Verzierungen in Form des Tau-Kreuzes (»T«), das auch als »esoterisches« Ordenskreuz Verwendung fand, wie beispielsweise das Taufbecken der Templerkapelle von Tarragona, die Wappenembleme der Heilig-Grab-Kirche von Torres del Río (Navarra) oder die Schmucksteine in den Gewölbebögen der Templerburg von Ponferrada (Prov. León) beweisen.29

Die Templer knüpften auf diese Weise an jenen geistigen Strom an, aus dem bereits der Orden der Johannes-Ritter von S. Juan hervorgegangen war.

29 Vgl. Alarcón Herrera, »A la sombra de los Templarios«, S. 241-292; Élie Lambert, »L'architecture des Templiers«, Paris 1955, S. 46f.

Eunate 1Eunate 2

Templer-Kirche Nostra Señora de Eunate
am Pilgerweg nach Santiago de Compostela (Navarra)

(zur Vergrößerung anklicken / click to enlarge)


Templerkirche von Montsaunès

Maria-Sophia und das göttliche Kind
Templer-Kirche von Montsaunès (Couserans, Dépt. Ariège)

In dem kleinen Dorf Gavarnie (Dépt. Hautes-Pyrénées), das in einer der atemberaubendsten Landschaften der Zentralpyrenäen an einem schwer zugänglichen, aber dennoch wichtigen Gebirgsübergang von Bigorre (Frankreich) nach Aragón (Spanien) gelegen ist und deshalb im Mittelalter auch Sitz einer Templerkommandatur war, erzählten sich die Bergbauern noch im 19. Jahrhundert eine tief berührende Sage. In der ärmlichen romanischen Dorfkirche wurden neben angeblichen Reliquien vom Kreuzholz und vom Abendmahlstisch, vom hl. Laurentius, von Johannes dem Täufer und Maria Magdalena auch uralte Totenschädel aufbewahrt.

    »Ehrfürchtig zeigt man in Gavarnie sechs oder sieben Schädel, von denen man sagt, sie gehörten zu Tode gequälten Templern, und man erzählt, daß jedes Jahr in der Nacht der [von König Philipp IV. »dem Schönen« am Freitag, den 13. Oktober 1307 erzwungenen] Auflösung des Ordens eine Gestalt auf dem Friedhof erscheint, in voller Rüstung und mit dem weißen, von einem roten Kreuz gezierten Mantel bekleidet. Dreimal ruft die Gestalt: »Wer wird den heiligen Tempel verteidigen? Wer wird das Grab des Herrn befreien?« Dann erwachen die sieben Schädel und antworten dreimal: »Niemand, niemand, der Tempel ist zerstört!««31

Welche Antwort wir heute, unmittelbar vor der Jahrtausendwende und angesichts einer sich zunehmend chaotisierenden Welt, auf diesen durchdringenden Ruf, auf diese klagende Frage zu geben vermögen, -- ob der verlorene Tempel einst wiedergewonnen und dem »Erlöser Erlösung« gebracht werden kann, das hängt von einem jeden von uns ab. Von außen erklingt der Ruf, -- die Antwort jedoch ruht verborgen in uns selbst und wartet, nach langer, allzulanger Nacht, auf die befreiende Morgenröte unseres inneren Erwachens, auf die ersten, dämmernden Strahlen unseres Geist-Bewußtseins.

31 Henri Martin, »Histoire de la France populaire«, Bd. IV; zit. nach Bernard Duhourcau, »Guide des Pyrénées mystérieuses«, Paris 1978, S. 332.
Quan lo rius de la fontana s'esclarzís, serà adès l'alba...


Gavarnie

Cirque de Gavarnie
Hier befand sich ein alter Übergang nach Aragón,
den eine Templer-Kommandatur bewachte
(Bigorre, Dépt. Ht.-Pyrénées)

(zur Vergrößerung anklicken / click to enlarge)


| CeltoSlavica Home |

| Johannes-Ritter Kap. 1 | Johannes-Ritter Kap. 2 |