VON SAN JUAN DE LA PEÑA
III. Das Königreich Aragón, der Jakobsweg und die Tempelritter |
Nach dem Tod von Sancho III. im Jahr 1035 wurde das hispanische
Reich unter den vier Söhnen aufgeteilt. Aragón fiel auf diese
Weise an Ramiro I. (1035-63) und wurde zu einem eigenständigen
Königreich erhoben. Unter Ramiro verstärkten sich die verwandtschaftlichen
Beziehungen der Adelsgeschlechter dies- und jenseits der Pyrenäen;
er selbst nahm in erster Ehe Gilberga zur Frau, die Tochter von
Bernat-Rogers (981-1036), dem Grafen von Foix, Comminges, Couserans und Bigorre,
auf dessen Territorium damals die erste Burganlage auf dem Montségur
entstand.4 Die dritte Tochter von Graf Bernat-Rogers hieß Clemencia; sie verband sich mit Adalbert (gest. 1048), dem Herzog von Oberlothringen aus dem Geschlecht
der Matfriden. Direkte Nachfahren dieses Paares waren die Könige
von Kastilien und Portugal, Kaiser Karl IV. aus dem Haus Luxemburg und Kaspar Hauser aus dem Geschlecht der Zähringer;
Nachfahren des Bruders von Adalbert waren Dietrich von Elsaß und
sein Sohn Philipp, der »Meister« von Chrestien de Troyes!5 Als Ahnherr des sogenannten »Matfriden-Geschlechts« in Lothringen
gilt Matfrid von Orléans (gest. 837), dessen Schwester Ava zu
Beginn des 9. Jahrhunderts den Etichonen Hugo von Tours (gest.
837) geheiratet hatte.6 Schon im Jahr 823 hatte Matfrid dem Kloster Sta. Grata (Sta. Maria
de Senterada) in der Grafschaft Pallars auf der Südseite der Pyrenäen
ein kaiserliches Privileg ausgestellt. Was ihn zu diesem Schritt
veranlaßte, ist aus den Quellen nicht zu erschließen. Eines ist
jedoch auffallend: Auf dem Boden von Pallars, in Tirvia und Burg,
finden sich mit die frühesten Spuren der Verehrung von Maria Magdalena
im Abendland, die in die ersten Jahrzehnte des 9. Jahrhunderts
zurückreichen.7 Die erhöhte Maria von Magdala erscheint in unserem Zusammenhang
wie eine Entsprechung zu Blanchefleur-Condwîrâmûrs, Perceval-Parzivals
Seelenbraut: als von dem süezen touwe / diu rôse ûz ir bälgelîn / blecket niuwen
werden schîn, / der beidiu wîz ist unde rôt. (»Sie war wie eine Rose, vom süßen Tau erquickt, die aus ihrem
Knösplein einen frischen herrlichen Schein gibt, weiß und rot
zugleich.« »Parzival« 188, 10-13.) Perceval-Parzival, selbst »Sohn
einer Witwe«, wird sich der »Maria Magdalena seines Wesens« erst
wieder bewußt, als er »am dritten Morgen« drei von einer Wildgans
vergossene rote Blutstropfen in Form eines Dreiecks auf dem weißen
Schnee erblickt und darin das Antlitz seiner Braut erkennt (»Parzival«
282,4-283,23): Blanchefleur-Condwîrâmûrs, qui conduit son amour, die seine sehnende Liebeskraft erhöht, mit erkennender Weisheit,
die durch Leid errungen wurde, durchdringt und in rechter Art
zum Gral lenkt.9 War nun die von Matfrid geförderte Abtei Sta. Maria in Pallars
etwa ein erstes Magdalenen-Kloster? Jedenfalls ist die Einführung
des Magdalenenkultes zutiefst mit den Familien der Etichonen und
Matfriden verbunden. Um 866 gründeten Gerard von Vienne und seine
Frau Berthe, der Schwiegersohn und die Tochter des Hugo von Tours,
das Frauenkloster Vézelay in Burgund, das allerdings erst 1049
von Papst Leo IX., einem Etichonen, ausdrücklich mit dem Magdalenen-Kult
in Verbindung gebracht wurde. Im selben Jahr weihte Leo IX. das
Kloster Sancta-Maria-Magdalena zu Verdun in Oberlothringen, wo
damals der Matfride Adalbert und seine Frau Clemencia von Foix
herrschten. 3 Hier studierte auch Gerbert von Aurillac (938-1003), der spätere
Papst Silvester II. und Vertraute von Kaiser Otto III., der die
antik-orientalischen Wissenschaften nach Chartres vermittelte.
4 Rogers I., Graf von Carcassonne, Razès, Couserans und Comminges
(949-nach 1011), übergab seiner Frau Azalaïs und seinem Sohn Bernat-Rogers
die Lehnsherrschaft über den Sabarthès, die Landschaft südöstlich
der Burg von Foix am Oberlauf der Ariège, wo die Höhlen von Ornolac
liegen, sowie über das Pays d'Olmes zwischen Mirepoix im Norden
und dem Pic St.-Barthélemy (Tabe) und dem Montségur im Süden --
im 12. und 13. Jh. die spirituellen Zentren der Katharer. Bernat-Rogers
ließ sich schließlich auf der Burg von Foix nieder und begründete
damit die Grafschaft gleichen Namens. Seine Schwester Ermesenda
heiratete im Jahr 1001 Ramón Borrell I. (972-1018), den Grafen
von Barcelona-Katalonien. Ein Bruder, Peire-Rogers, wurde 1011
Bischof von Girona; eine andere Tochter von Bernat-Rogers, Estefania,
war mit dem König von Navarra, García V., verheiratet, dem Bruder
von Ramiro. 5 M. Szabolcs de Vajay, ȃtiennette, dite de Vienne, comtesse de
Bourgogne«, in: Annales de Bourgogne 32 (1960), S. 233-266; Georges
Poul, »Les Ducs de Lorraine du Moyen-Age (XIe au XVe siècle).« Rupt-sur-Moselle 1967, S. 6 (= Les Cahiers d'Histoire,
de Biographie et de Généalogie 3). 6 Walter Johannes Stein wies in seinem Buch über das 9. Jahrhundert
als erster auf die enge Beziehung von Hugo und Matfrid zum Gralsgeschehen
hin. »Weltgeschichte im Lichte des Heiligen Gral«, S. 36-82. 7 Paulette Duval, »La Pensée alchimique et le Conte du Graal«, Paris
1979, S. 153-213; Victor Saxer, »Le culte de Marie Madeleine en
Occident«, Auxerre-Paris 1959, Bd. I, S. 60ff. Maria (Magdalena) mit der Schale, die das Salböl (Blut) der Feuertaufe
enthält Spätere Legenden, die erstmals für das Jahr 865 nachzuweisen sind,
wußten bereits zu berichten, daß nach Jakobs Märtyrertod in Palästina
sein Leichnam im Inneren einer Arche oder Barke aus Stein in sieben
Tagen über die Meeresfluten nach Padrón an die galizische Küste
gelangt sei. Wie Johannes den Täufer, so hatte man auch Jakobus
enthauptet; war Herodias die dunkle Gegenspielerin des Täufers,
so tritt in Galizien die Königin Luparia (»Wölfin«) der sterblichen
Hülle Jakobs feindlich entgegen. In Santiago habe der Leichnam
schließlich seine letzte Ruhestätte unter einer Steinplatte gefunden,
die wie weiches Wachs schmolz und gleich einem Tempelbau die Form
seines Leibes nachbildete. Die Anklänge an Noah und seine Arche
oder an den salomonischen Tempelbau, in dem die heilige Bundeslade
(Arche) aufbewahrt wurde, sind kein Zufall. Alle Impulse, die
während des Mittelalters von Santiago ausstrahlen sollten, waren
mit dem Ideal verknüpft, den äußeren Tempelbau in seinen Zahlenverhältnissen
als Entsprechung zum erstrebten »inwendigen Tempel«, dem Allerheiligsten
der Seele, zu errichten, als ein Bild des Mikrokosmos, das seinerseits
als Abbild des göttlichen Makrokosmos verstanden wurde.11 Um 820 wurden die angeblichen Reliquien des Apostels Jakob in
Santiago »entdeckt«. Späteren Überlieferungen zufolge sei der
hl. Jakob 844 den christlichen Truppen unter König Ramiro während
der Schlacht von Clavijo erschienen12, in der die Mauren vernichtend geschlagen wurden. Der eigentliche
Jakobskult begann jedoch erst unter der Regentschaft des Königs
von Asturien, Alfonso III. (886-910).13 Mit Godescalc, dem Bischof aus Puy, der 951 »mit großem Gefolge«
das Grab des Apostels besuchte, sowie der Pilgerreise des Erzbischofs
von Reims, Hugo von Vermandois, im Jahr 961, gewann Santiago an
Prestige. Bald hieß der Jakobsweg la voie lactée, »die Milchstraße«. Die Pilger folgten diesem Weg, um zu einem
fünfstrahligen Stern zu gelangen, denn Santiago de Compostela
steht für Sanctus Iacobus compos stellae (»Meister, Herrscher des Sterns; der den Stern besitzt«). Als
feste Attribute des hl. Jakob von Compostela wurden neben der
an einen Gänsefuß erinnernden Muschel, dem fünfstrahligen Stern
und dem Abacus, dem »Meisterstab«, stets ein Hund als Begleiter
des Apostels dargestellt. Am Ende der galaktischen Milchstraße
befindet sich das Sternbild des Großen Hundes; dessen Hauptstern
ist Sirius, »der hocherhabene, (...) der die Wasser [der Weisheit]
weithin strömen läßt«. Der Weg nach Compostela nahm auf die Entwicklung der Baukunst
im Abendland einen außerordentlichen Einfluß. Louis Charpentier
hat in seinem anregenden Buch die Pilgerfahrt als Einweihungsweg
der Baumeister und Handwerker gedeutet - eine These, die allein
aus dem Grund schon aufschlußreich ist, weil Spanien ja als Land
des Tubal-Kain galt, der in einer Arche vom Orient nach Nordspanien
gelangt sein soll. »Der Jakobsweg ist vor allem ein Weg der Bauleute, und ich halte
es für wahrscheinlich, daß die Mehrzahl der großen abendländischen
Baumeister des Mittelalters diesen Weg begangen haben, - ob sie
nun Mönche oder Laien waren.«14 Zeitgleich mit dem Beginn der großen Wallfahrten nach dem Epochenjahr
1000 kam es zur Blüte des romanischen Kirchenbaus, was den zeitgenössischen
Kluniazensermönch Rudolphus Glaber zu der berühmten Feststellung
veranlaßte: »Es war, als ob die ganze Erde ihre hinfällige Vergangenheit abschüttelte
und sich in einen weißen Mantel von Kirchen hüllte.«15 Charpentier hat ferner darauf hingewiesen, daß ein großer Teil
der romanischen Kirchenbauten entlang des Jakobsweges mit dem
Christus-Monogramm, dem sogenannten »Chrismon«, geschmückt sind,
das sich meist an prominenter Stelle auf dem Tympanon befindet.
Die traditionelle Deutung des Chrismons lautet: CR AW = Christus
est Alpha et Omega. Liest man dieses Monogramm jedoch in horizontaler
Richtung, kann man IAXW = Iakho = Jakob entziffern; liest man
es kreisförmig, so bedeutet es RWSA X = Rosa-Crux.16 Montségur (zur Vergrößerung anklicken
9 Vgl. Duval, »La Pensée alchimique et le Conte du Graal«, S. 337,
348. 11 Vgl. M.-M. Davy, »Initiation à la symbolique romane. (XIIe siècle)«, Paris 1977, S. 175-189; Jean-Pierre Bayard, »La Tradition
cachée des cathédrales. Du symbolisme médiéval à la réalisation
architecturale«, St.-Jean-de-Braye 1990, S. 87ff. 12 In Wirklichkeit fand die Schlacht von Clavijo erst 859 unter
Ordoño I. statt. 13 R. A. Fletcher, »Saint James's Catapult. The Life and Times of
Diego Gelmírez of Santiago de Compostela«, Oxford 1984; Yves Bottineau,
»Les chemins de Saint-Jacques«, 3. Aufl. Paris 1983; James Stone,
»The Cult of Santiago. Traditions, Myths, and Pilgrimages«, London
1927; Jacques Chocheyras, »Saint Jacques de Compostelle«, Rennes
1985. 14 Louis Charpentier, »Les Jacques et le mystère de Compostelle«,
Taschenbuchausgabe Paris 1979, S. 120. (Dt. Übersetzung: »Santiago
de Compostela. Das Geheimnis der Pilgerstraßen«, Olten-Freiburg/B.
1979.) Vgl. auch Rafael Alarcón Herrera, »A la sombra de los Templarios.
Interrogantes sobre esoterismo medieval«, Barcelona 1986. 15 Zit. nach Chocheyras, »Saint Jacques de Compostelle«, S. 125.
16 Vgl. Charpentier, »Les Jacques«, S. 127ff. Entwicklung vom Tau-(Ankh-) Kreuz zum Chrismon
Fresko (um 1123) aus S. Climent in Taüll (Pallars, Katalonien)
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Man beachte, daß im Chrismon das »S« nicht in griechischer,
sondern in lateinischer »Schlangen«-Form dargestellt ist!
Die Konstrukteure und Handwerker, die in Südfrankreich (Occitanien)
und Nordspanien zwischen dem 11. und 13. Jahrhundert diese Kirchen
schufen, gehörten einer Bauhütte an, die in späterer Zeit den
Namen les Enfants du Maître Jacques (»Kinder von Meister Jakob«) trug. Die Ursprungslegende der französischen
Compagnons, die Johannes den Täufer als ihren Patron erwählt hatten, führt
»Meister Jakob« auf jenen Vorarbeiter zurück, der unter der Leitung
von Hiram Abiff die Säulen Jakin und Boas (»Weisheit und Stärke«)
am salomonischen Tempelbau errichtete und später mit 12 Compagnons und 40 Schülern über das Meer nach Marseille in die Provence
gelangte, um sich in der Einsiedelei von Sainte-Baume niederzulassen.17 Im 16. Jahrhundert, zur Zeit der Religionskriege, ging aus den
»Kindern des Meisters Jakob« in Südfrankreich eine Gilde von Handwerkern
hervor, deren zumeist protestantische Mitglieder sich Gavots18 nannten und sich der Regel der »Kinder von Salomon« unterstellten.
Ein Baumeister, dessen Schaffen eng mit dem Jakobsweg verbunden scheint, war der »Meister von Jaca«. Er errichtete nach 1060 die Kathedrale des neuen Bistums von Jaca und die Klosterkirche von Sta. Cruz de la Serós. Als Erkennungszeichen pflegte er im Türsturz des Hauptportals das von zwei Löwen umrahmte Chrismon zu hinterlassen. In Jaca wurde zur Erläuterung die Inschrift eingemeißelt: »In dieser Skulptur, o Leser, bemühe dich zu erkennen: P ist der Vater, A der Gezeugte, Duplex [W = Omega] der Nährende, Segnende Geist. Diese drei sind wahrhaft der eine und einzige Herr.«20 Auf dem Chrismon von Sta. María, der Kirche des Nonnenklosters in Sta. Cruz de la Serós am Fuß der Sierra de la Peña, die 1070 von Sancha Ramírez, der Tochter von König Ramiro I., gestiftet wurde, ist zu lesen: »Ich bin das Tor der Seligkeit. Tretet durch Mich ein, ihr Gläubigen. Ich bin der Quell des Lebens; dürstet nach Mir mehr als nach Wein, ihr alle, die in diesen seligen Tempel der Jungfrau eindringt.«21 |
17 Jean-Pierre Bayard, »Le Compagnonnage en France«, Paris 1977,
S. 37-57, 85ff., 188f.; Charpentier, »Les Jacques«, S. 92ff. In
Sainte-Baume soll eigentümlicherweise auch Maria Magdalena, die
der Legende zufolge gemeinsam mit Martha und Salome in die Provence
gekommen war, bis zu ihrem Tod als Büßerin ein Einsiedlerleben
geführt haben!
18 Gavots kommt von occitanisch gava, »Schlucht«, »tiefer Gebirgswasserlauf«. Noch heute heißen die Pyrenäentäler zwischen Tarbes und Pau nach der alten lokalen Bezeichnung gave. 20 Angel Canellas, Angel San Vincente, »Aragón roman«, La-Pierre-qui-vire 1971, S. 159; François Taillefer, »Les Pyrénées. De la montagne à l'homme«, Toulouse 1974, S. 187f. |
Chrismon der Kathedrale von Jaca (Aragón) (zur Vergrößerung anklicken / click to enlarge) |
Aragón nahm an den Anfängen des europäischen Städte- und Handelswesens
unmittelbar teil. Der Sohn von Ramiro I., Sancho Ramírez (1063-1094 König von Aragón, 1076-94 auch König von Navarra),
eroberte von den Mauren die Gebiete bis Huesca zurück, ließ in
Jaca eine königliche Residenz erbauen und rief Kaufleute und Handwerker
aus der Gascogne und aus Toulouse in das Land. Mit Hilfe einer
geschickten Heiratspolitik knüpften er selbst und seine Kinder
verwandtschaftliche Bande nach Kastilien, Burgund und in die Normandie,
nach Aquitanien und Italien. Zur selben Zeit, als von den Herrschern
Polens, Böhmens und Ungarns Bürger und Bauern aus Westmitteleuropa
angeworben wurden, die das brachliegende Land im Osten erschließen
sollten, setzte auch in zurückeroberten Gebieten Nordspaniens
eine Welle von Stadtgründungen und Neubesiedlungen ein. Hier entfaltete
sich jener Impuls, der durch Lohengrin im Auftrag der Gralshüter in das europäische Kulturleben getragen
worden war, um der sich von den alten Feudalmächten emanzipierenden
Welt des Bürgertums und des Handels den Boden zu bereiten.
Als er das Ende seines Lebens herannahen fühlte, zog sich Sancho Ramírez nach San Juan de la Peña zurück; an der Seite seines Vaters wurde er dort begraben. Auch im Höhlenkloster geschahen einschneidende Veränderungen: 1071 besuchte der Legat des Papstes Alexander II., Kardinal Hugo Candidus, das Königreich; Ziel seiner Verhandlungen mit den aragónischen Würdenträgern war es, die sich auf der iberischen Halbinsel zäh behauptende westgotisch-mozárabische Liturgie endlich durch die römische ersetzen zu lassen, um im Abendland die Vereinheitlichung der Messe nach römischen Muster endlich zu vollenden. Tatsächlich wurde in S. Juan am 22. März 1071 erstmals auf der iberischen Halbinsel die römische Liturgie zelebriert. Doch es bildete sich auch Opposition gegen diese Maßnahme. Die daraus erwachsenden Streitigkeiten wurden erst geschlichtet, als der Abt Aquilino in Rom die Zusage erhielt, daß das Kloster unmittelbar dem Heiligen Stuhl unterstellt und damit jedem Zugriff von außen entzogen werde. Damit war dem Kloster von S. Juan eine kirchenrechtliche Sonderstellung eingeräumt worden. Wenig später wurde das Kloster großzügig erweitert. Oberhalb der Doppelkirche errichtete man einen Bau im romanischen Stil, dessen Altäre 1094 geweiht wurden. San Juan diente nun als Pantheon der aragónischen Könige, wurde mit großen Gütern und Ländereien bedacht und erfreute sich Rom gegenüber großer Unabhängigkeit, -- ja es galt sogar als kirchenrechtlicher Ausnahmefall. Damals legte man fest, daß die Bischöfe von Aragón zugleich Mönche von S. Juan zu sein hatten.
Das geistige Erbe der »Johannes-Ritter« wurde von den Templern weitergetragen, die Anfang des 12. Jahrhunderts nach Aragón kamen. Der Tempelritter-Orden erhielt in Spanien zwischen 1128/30 und 1136 nicht weniger als 36 bedeutende Schenkungen.23 In jenen Jahren wurde auch der Abendmahlskelch von S. Juan zum erstenmal erwähnt. Seit 1143 kämpften die Templer auf der iberischen Halbinsel gegen die Mauren und nahmen an der aragónischen Reconquista bis zur Eroberung des Königreichs von Valencia teil. Als zusätzliche Aufgabe wurde ihnen die Sicherung des stark frequentierten Pilgerwegs nach Compostela anvertraut. Der größte Gönner der Tempelritter in der Corona de Aragón war der König in eigener Person: Alfonso I. »der Kämpfer« (1104-1134), zweiter Sohn von Sancho Ramirez, der in den Jahren 1118/19 Zaragoza, Tudela und Tarazona befreite und die Grenze des christlichen Spanien bis an den Ebro vorschob. Eigentümlicherweise wird er in lateinischen Urkunden bisweilen Anfortius oder Anfors genannt. Seinen Vetter ersten Grades, Rotrou I. (gest. 1144), Graf von Val Perche (Normandie) und Chartres, 1097-1100 Teilnehmer am Ersten Kreuzzug in das Heilige Land, setzte Alfonso 1121 als Regent von Tudela ein. Der bewaffnete Kampf, den diese Männer gegen die Mauren führten, hinderte jedoch nicht den geistigen Austausch, und so gelangte damals in verstärktem Maße orientalisches Wissen von Toledo über Tudela in die Schule von Chartres.24 Rotrou, der 1140 das Zisterzienserkloster von La Trappe stiftete, Johannes von Salisbury nahestand und in der Kathedrale von Chartres begraben wurde, war gemeinsam mit Alfonso über das Geschlecht der Roucy ein Vetter von Hugo de Payns, dem ersten Ordensmeister der Templer.25 Hier tritt also wieder der gleiche Menschenkreis in Erscheinung, auf den die Veröffentlichung der Gralsüberlieferung zurückzuführen ist; dieselben Menschen standen außerdem hinter der Begründung des Templerordens zu Jerusalem, dem Aufstieg der Akademie von Chartres im 12. Jahrhundert und der Impulsierung der Pilgerfahrten nach Santiago. |
21 Zit. nach Canellas/San Vincente, »Aragón roman«, S. 233.
23 María Luisa Ledesma Rubio, »Templarios y Hospitalarios en el Reino de Aragón«, Zaragoza 1982; A. J. Forey, »The Templars in the Corona de Aragón«, London 1973. 24 Es ist nachgewiesen worden, daß Wolfram von Eschenbach Kontakte zu Vertretern der »Schule von Chartres« unterhalten haben muß, denn Anschauungen der Schule sind in sein Epos »Parzival« eingeflossen. Vgl. Bernhard D. Haage, »Prolegomena zum Einfluß der »Schule von Chartres« auf Wolfram von Eschenbach«, in: »Ûf der mâze pfat. Festschrift für W. Hoggmann zum 60. Geburtstag«, hrsg. v. Waltraud Fritsch-Rössler, Göppingen 1991, S. 149-169. 25 Vgl. André de Mandach, »Le Roman du Graal originaire. I: Sur les traces du modèle commun «en code transpyrénéen» de Chrétien de Troyes et Wolfram von Eschenbach«, Göppingen 1992, S. 17ff. |
(von links nach rechts) |
König Alfonso unterhielt zu den Templern so herzliche Beziehungen,
daß er, der ohne Thronerben geblieben war, im Testament vom 4.
September 1134 festlegte, der Orden solle mit seinem Pferd und
seinen Waffen sowie einem Drittel des Königreichs von Aragón beschenkt
werden! Diese testamentarische Verfügung diente wahrscheinlich
dem Zweck, zu verhindern, daß Aragón an König Alfonso VII. von
Kastilien fallen würde, den Wunschkandidaten des Papstes. Das
Testament ermöglichte dem jüngerem Bruder von Alfonso I., Ramiro II. »dem Mönch« (1075-1157), Abt von St.-Pons-Thomières im Languedoc,
sein Gelübde drei Jahre lang ruhen zu lassen und 1134 den Thron
zu besteigen. Noch im selben Jahr ehelichte er Agnès von Poitiers,
die Tante Philipps von Elsaß; wenig später, im Jahr 1136, wurde
ihnen eine Tochter namens Petronilla geboren. Ramiro regelte die
Nachfolgefrage gewiß auch im Sinne der Templer, als er das erst
einjährige Mädchen 1137 mit dem damals 24jährigen Grafen von Barcelona-Katalonien
und der Provence, Ramón Berenguer IV. (1113-1162), vermählte.
Nachdem Ramiro somit seine dynastische Pflicht erfüllt hatte,
zog er sich 1137 hinter die Mauern des Klosters San Pedro el Viejo
in Huesca zurück, wo er 1157 starb. Da die Templer und die Hospitaliter
ihre testamentarisch festgelegten Ansprüche auf Aragón zugunsten
von Ramón Berenguer zurückstellten, wurden Aragón und Katalonien
in Personalunion vereinigt, die Königskrone von Jaca nach Barcelona
übertragen.26 Anders als das streng-herbe Kastilien entwickelte sich Katalonien
zu einem weltoffenen, schon früh von liberalem und bürgerlich-egalitärem
Geist getragenen Handelsimperium, das, beständig dem Meer zugewandt,
die großen Entdeckungsfahrten des 15. und 16. Jahrhunderts maßgeblich
vorbereiten half.
Es hat seine tiefe Berechtigung, wenn Wolfram von Eschenbach die Gralsritter mit dem Namen templeis belegt. Auch die jüngsten Ergebnisse der philologischen Forschung bekräftigen, daß der Name templeis auf eine aragónisch-katalanisch-occitanische Sprachwurzel zurückzuführen ist, die Wolfram offensichtlich durch seinen Gewährsmann Kyôt den Provenzâl kannte; im linguistischen Grenzgebiet der Pyrenäen um Foix, Couserans, Pallars und Ribagorça findet man nämlich als Bezeichnung für »Templer« die Form templàs, templés.28 |
26 Bereits der Vater des frisch gekürten Königs, Ramón Berenguer
III. »der Große« (1082-1131), war gegen Ende seines Lebens in
den Tempelorden eingetreten und in der Kommanderie von Barcelona
verstorben. Der Sohn leistete einen einjährigen Freiwilligendienst
unter dem Banner des Tempels. Alain Demurger, »Vie et mort de
l'ordre du Temple 1118-1314«, 2. Aufl. Paris 1989, S. 60f. (Dt.
Übers.: »Die Templer. Aufstieg und Untergang 1120-1314«, 4. Aufl.
München 1994.)
28 Vgl. Henry und Renée Kahane, »The Krater and the Grail. Hermetic Sources of the Parzival«, Urbana/Ill. 1965, S. 153f.; Mandach, »Le Roman du Graal originaire«, S. 73f. |
(links) Gewölbebogenabschluß aus der Burg der Templer-Komturei
von Ponferrada |
Gerade im nördlichen Spanien zeigte sich, daß der Templer-Orden,
der den Namen von seiner Gründungsstätte, dem einstigen Standort
des salomonischen Tempels zu Jerusalem empfangen hatte, eine Vorliebe
für bestimmte architektonische Formen an den Tag legte und die
Entwicklung des Bauhüttenwesens finanziell und personell förderte.
In der Verwirklichung des wahrhaft christlichen Tempelbaus erblickten
die Ritter ein hohes Ideal.
In Anlehnung an den Jerusalemer Felsendom, wo sich das Hl. Grab befindet, wurden die bemerkenswertesten Ordenskirchen als Rotunden errichtet, manchmal aber auch in oktogonaler Form, so etwa die um 1150/60 entstandene »Maria-Sophia-Kapelle« Nostra Señora de Eunate in Navarra mit ihren geheimnisvollen Steinskulpturen. Gerade in Spanien und Portugal tragen die offiziellen wie die »apokryphen« Templer-Bauten besonders häufig Verzierungen in Form des Tau-Kreuzes (»T«), das auch als »esoterisches« Ordenskreuz Verwendung fand, wie beispielsweise das Taufbecken der Templerkapelle von Tarragona, die Wappenembleme der Heilig-Grab-Kirche von Torres del Río (Navarra) oder die Schmucksteine in den Gewölbebögen der Templerburg von Ponferrada (Prov. León) beweisen.29 Die Templer knüpften auf diese Weise an jenen geistigen Strom an, aus dem bereits der Orden der Johannes-Ritter von S. Juan hervorgegangen war. |
29 Vgl. Alarcón Herrera, »A la sombra de los Templarios«, S. 241-292; Élie Lambert, »L'architecture des Templiers«, Paris 1955, S. 46f. |
In dem kleinen Dorf Gavarnie (Dépt. Hautes-Pyrénées), das in einer
der atemberaubendsten Landschaften der Zentralpyrenäen an einem
schwer zugänglichen, aber dennoch wichtigen Gebirgsübergang von
Bigorre (Frankreich) nach Aragón (Spanien) gelegen ist und deshalb
im Mittelalter auch Sitz einer Templerkommandatur war, erzählten
sich die Bergbauern noch im 19. Jahrhundert eine tief berührende
Sage. In der ärmlichen romanischen Dorfkirche wurden neben angeblichen
Reliquien vom Kreuzholz und vom Abendmahlstisch, vom hl. Laurentius,
von Johannes dem Täufer und Maria Magdalena auch uralte Totenschädel
aufbewahrt.
»Ehrfürchtig zeigt man in Gavarnie sechs oder sieben Schädel, von denen man sagt, sie gehörten zu Tode gequälten Templern, und man erzählt, daß jedes Jahr in der Nacht der [von König Philipp IV. »dem Schönen« am Freitag, den 13. Oktober 1307 erzwungenen] Auflösung des Ordens eine Gestalt auf dem Friedhof erscheint, in voller Rüstung und mit dem weißen, von einem roten Kreuz gezierten Mantel bekleidet. Dreimal ruft die Gestalt: »Wer wird den heiligen Tempel verteidigen? Wer wird das Grab des Herrn befreien?« Dann erwachen die sieben Schädel und antworten dreimal: »Niemand, niemand, der Tempel ist zerstört!««31 Welche Antwort wir heute, unmittelbar vor der Jahrtausendwende und angesichts einer sich zunehmend chaotisierenden Welt, auf diesen durchdringenden Ruf, auf diese klagende Frage zu geben vermögen, -- ob der verlorene Tempel einst wiedergewonnen und dem »Erlöser Erlösung« gebracht werden kann, das hängt von einem jeden von uns ab. Von außen erklingt der Ruf, -- die Antwort jedoch ruht verborgen in uns selbst und wartet, nach langer, allzulanger Nacht, auf die befreiende Morgenröte unseres inneren Erwachens, auf die ersten, dämmernden Strahlen unseres Geist-Bewußtseins. |
31 Henri Martin, »Histoire de la France populaire«, Bd. IV; zit. nach Bernard Duhourcau, »Guide des Pyrénées mystérieuses«, Paris 1978, S. 332. |
Cirque de Gavarnie (zur Vergrößerung anklicken / click to enlarge) |