Das Ringen um die Vergangenheit

Mychajlo Hruševs’kyj
und die Problematik einer Konzeption
der osteuropäischen Geschichte



von Markus Osterrieder







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Letztes Update: 28. Oktober 2005
Magisterarbeit M.A., Ludwig-Maximilians-Universität München 1991

Die vorliegende Arbeit entstand im Jahre 1991 als Magisterarbeit an der LMU München im Fach Geschichte Osteuropas. Sie konnte seitdem nicht mehr wesentlich überarbeitet werden und spiegelt somit den Forschungsstand zur Zeit des Zerfalls der Sowjetunion und der staatlichen Unabhängigkeit der Ukraine wider.

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Inhaltsverzeichnis
Einführung

I. Die Entstehung der »allrussischen« Geschichtskonzeption
I.1. Historiographie als Ausdruck des moskovitischen politischen Denkens
I.2.
Das »traditionelle« Schema der dynastisch-staatlichen Konzeption
I.3. V.O. Ključevskij

II. Die Entstehung der ukrainischen Geschichtskonzeption
II.1 Die »Istorija Rusov«
II.2.
Mykola Kostomarov
II.3.
Mychajlo Drahomanov
II.4. Volodymyr Antonovyč

III. Mychajlo Hruševs’kyj (1866-1934)
III.1. Leben und Wirken von Mychajlo Hruševs’kyj
III.1.2. Hruševs’kyj als Historiker und Führer der »Ukraïnstvo-Bewegung«
III.1.3. Hruševs’kyj als Politiker
III.1.4. Hruševs’kyj in der Sowjetunion
III.2. Hruševs’kyjs politische Vorstellungen
III.3. Hruševs’kyjs »rationales Schema« zur osteuropäischen Geschichte

IV. Nationalukrainische Konzeptionen in der Emigration
IV.1. Populistischer oder etatistischer Ansatz
IV.2.
Die ethnische Komponente
IV.3.
Die Kontinuitätsfrage
IV.4. Die Ukraine und Polen
IV.5.
Die Ukraine zwischen Ost und West
IV.6. Periodisierung der ukrainischen Geschichte

V. Konzeptionen der nichtmarxistischen russischen Historiographie
V.1. A. Presnjakov
V.2. A.V. Florovskij
V.3.
Die ›eurasische‹ Konzeption
V.3.1.
Vorstufen im 19. Jahrhundert
V.3.2. Die Bewegung der Eurasier
V.3.3. Georgij Vernadskij

VI. Der ideologische Hintergrund sowjetischer Geschichtskonzeptionen
VI.1. M.N. Pokrovskij
VI.2.
Matvij Javors’kyj
VI.3. Grundlinien der sowjetischen Konzeption nach 1934
VI.3.1. Der »altrussische Staat«
VI.5.
Die »Völkerfreundschaft« und der »Ältere Bruder«
VI.6.
Die 300-Jahr-Feiern des Abkommens von Perejaslav
VI.3.4.
Das »Sowjetvolk«
VI.4. Die Geschichtswissenschaft in der Sowjetukraine nach 1956
VI.5. Geschichtskonzeption in der Phase der Perestrojka (bis 1991)

VII. Grundlagen der »Jagiellonischen Idee« in der polnischen Geschichtsschreibung
VII.1. Die polnische Szlachta und »Sarmatien«
VII.2.
Franciszek Duchiński
VII.3.
Jagiellonische oder piastische Geschichtskonzeption
VII.4.
Oskar Halecki

Schlußbetrachtung

Abkürzungen
Bibliographie



Als Ergänzung hierzu meine Buchrezensionen:

Stephen Velychenko: National History as Cultural Process / Shaping Identity in Eastern Europe and Russia 
In: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 43:4 (1995), S. 580-583

Mykhailo Hrushevsky: History of Ukraine-Rus’. Vol. 1: From Prehistory to the Eleventh Century



Wie jede Forschungstätigkeit ist auch die Geschichtswissenschaft bei allem Streben nach Objektivität eng mit den Fähigkeiten des menschlichen Bewußtseins verbunden. Dieses hat die Eigenschaft, daß es sich unaufhörlich wandelt, sich durch gelebte Erfahrungen und Lernprozesse verändert. Gleichzeitig ist menschliches Bewußtsein notwendigerweise bis zu einem bestimmten Grad subjektiv, geprägt durch die jeweilige Seelen- und Geistesart des Menschen.

Betrachtet man daher die Entwicklung der Historiographie – in diesem Fall die Entwicklung der verschiedenen Konzeptionen, die im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts entwickelt worden sind, um Gliederung und Verlauf der osteuropäischen Geschichte zu beschreiben –, so wird man bald feststellen, in welchem Maße die Historiographie ein Kind ihrer Zeit ist, ein Ausdruck des vorherrschenden »Zeitgeistes«.

Die von den Menschen konzipierte und wahrgenommene Vergangenheit ist zugleich ein Teil ihrer Gegenwart. Der Blick in die Geschichte ist gewissermaßen auch ein Blick in den Spiegel. Natürlich soll die Vergangenheit möglichst »aus sich selbst«, aus den Quellen sprechen, und dazu ist größtmögliche Sachlichkeit und Neutralität des Forschers die unabdingbare Voraussetzung. Doch darf man nicht verkennen, daß die Vergangenheit immer wieder in neuen Aspekten und Formen zu uns sprechen wird, weil wir uns wandeln.

Wiederholt dienten weite Bereiche der Historiographie des osteuropäischen Raumes in den vergangenen 150 Jahren tendenziös-parteilichen oder ideologischen Absichten. Die Geschichtswissenschaft diente einerseits als ein Mittel der Verteidigung und Untermauerung bestehender Herrschaftsansprüche, oder andererseits als Waffe im nationalen Freiheitskampf unterdrückter Völker. Dementsprechend übernahm Geschichtsschreibung in Ostmittel- und Osteuropa die Rolle eines Instruments zur Manipulierung oder aber zur Befreiung kollektiver Erinnerung.

Der eigentliche Begründer der ukrainischen Historiographie, Mychajlo Hruševs’kyj (1866-1934), hatte es sich zur Lebensaufgabe gemacht, gegen die stereotypen Konzeptionen und Lehren aufzutreten, die ein bestimmtes, »russozentrisches« Schema der osteuropäischen bzw. ostslavischen Geschichte entworfen hatten. Dieses von der russischen Geschichtswissenschaft seit Nikolaj Karamzin (1766-1826) im 19. Jahrhundert entwickelte Schema erfüllte einen »staatserhaltenden« Zweck, indem es die staatliche Kontinuität der zaristischen Herrschaft mit der ethnischen Einheit eines »allrussischen Volkes« in Übereinstimmung zu bringen versuchte.

Das von Karamzin aufgestellte Schema wurde in den wesentlichen Punkten auch von Sergej Solov’ev (1820-1879) und Vasilij Ključevskij (1841-1911) übernommen, die wiederum einen großen Einfluß auf die westliche Osteuropaforschung und deren Bewertungskriterien ausübten.

Mychajlo Hruševs’kyj setzte sich vehement für eine Korrektur dieser älteren Anschauungen ein, die der geschichtlichen Rolle des ukrainischen und weißruthenischen Volkes ungenügend oder überhaupt nicht Rechnung trugen. Indem er in zahlreichen Werken eine eigenständige geschichtliche Entwicklung der Ukrainer von den ostslavischen Stämmen bis in die Gegenwart aufzuzeigen suchte, verhalf er seinem Volk erstmals in wirklich umfassendem Maße zu einer »Erinnerung«.

Mit der Erinnerung ist zugleich der Prozeß der Selbstbewußt-Werdung verbunden. Die menschliche Persönlichkeit stärkt ihre Identität, ihr Selbstbewußtsein mit Hilfe der Fähigkeiten ihres Gedächtnisses, das dem Erlebten eine kontinuierliche Einheit und damit ein individuelles Gepräge verleiht. Etwas ähnliches vollzieht sich auch unter Völkern. Geschichtsschreibung bedeutet für die Völker, sich eine Art von Gedächtnis zu schaffen, um auf diese Weise die eigene Identität ergreifen und fortsetzen zu können. Die Einschätzung der eigenen Identität hängt hierbei wesentlich von der Art und Weise der Geschichtsbetrachtung ab.

Hruševs’kyjs neues Schema zur Geschichte der ostslavischen Völker, das er in einem berühmten Aufsatz bereits 1904 darlegte, bot ein Konzept, an dem fortan keine ernsthafte Auseinandersetzung mit der Geschichte des osteuropäischen Raumes achtlos vorbeigehen konnte.

Während Hruševs’kyj mit seiner Tätigkeit als Historiker die Vergangenheit des ukrainischen Volkes in einen größeren Sinnzusammenhang stellen wollte, war er zugleich ganz mit den Ereignissen seiner Zeit verbunden. Vor allem als Präsident der ukrainischen Zentral-Rada spielte er eine aktive politische Rolle. Seine wissenschaftliche Beschäftigung mit der Geschichte bestärkte ihn in seiner Überzeugung, daß der Ukraine das Recht auf Selbstbestimmung und auf weitestgehende Unabhängigkeit zustehe. Als Politiker vertrat Hruševs’kyj allerdings keinen chauvinistischen Nationalismus. Im Gegenteil setzte er sich für ein vorbildliches Minderheitenrecht in der Ukraine ein, und er war ferner der Meinung, die Völker des zerfallenden Zarenreiches sollten einen konföderativen Zusammenhalt anstreben.

Jede Art von Geschichtsschreibung muß in jeder Generation neu hinterfragt werden. Dies wird umso notwendiger, wenn sich in den betroffenen Räumen entscheidende Veränderungen vollziehen. Infolge des Zerfalls der Sowjetunion erklärte die Ukraine am 24. August 1991 ihre staatliche Unabhängigkeit. Es war zu erwarten, daß die Ukrainer nach dem Ende der Sowjetherrschaft ihr historisches Gedächtnis wiederfinden und ihre Identität neu bestimmen, ihr Verhältnis zu den angrenzenden Völkern und Staaten neu ordnen wollten. Der Geschichtsschreibung fällt hierbei eine große Verantwortung zu, denn von ihr hängt es ab, wie diese Identität in Hinblick auf die nationale Vergangenheit aussehen wird. Sie wird deshalb ihre Urteile, Einschätzungen und Interpretationen mehr denn je abwägen müssen, denn aus einseitiger Geschichtsbetrachtung ist schon zu viel Leid über die europäischen Völker gekommen.

Nachdem in jüngster Zeit in der Sowjetunion Person und Werk Mychajlo Hruševs’kyjs eine späte Rehabilitierung erfahren, war auch damit zu rechnen, daß ukrainische Historiker verstärkt auf Hruševs’kyjs Schema zurückgreifen würden. Deshalb ist es an der Zeit, Hruševs’kyjs Werk einer gründlichen und umfassenden Neubewertung zu unterziehen. Vor über einem halben Jahrhundert in einer Zeit größter politischer Umwälzungen entstanden, tragen nämlich auch Hruševs’kyjs Arbeiten deutliche Spuren des »Zeitgeistes«.

Zwei skizzenartige Beispiele sollen im folgenden die Probleme verdeutlichen, die sich bei einer Überprüfung der älteren Konzeptionen zur ostslavischen Geschichte stellen.

 

1. Das Problem der »Nationenbildung«

Die traditionelle russische Historiographie des 19. und frühen 20. Jahrhunderts hat sich bemüht, den Einheitscharakter einer allrussischen, ostslavischen Nation zu beweisen. Das ukrainische und das weißruthenische Volk wurden als bloße »Zweige«, »Volksstämme« dieser großrussischen Nation angesehen. Diese Anschauung hat sich nach 1917 bei zahlreichen russischen Exilhistorikern erhalten. Im Zarenreich galten die ukrainische und die weißruthenische (belarusische) Sprache als regionale »Dialekte« (narečija) des Russischen, denen man das Recht auf schriftsprachliche Verwendung verweigerte.

Die sowjetische Historiographie hat diese Ansicht etwas modifiziert. Die sowjetischen Historiker sprechen von einem »altrussischen Volk« (drevnerusskij narod), dessen Staatsschöpfung die Kiever Rus’ (Kievskaja Rus’) gewesen sei. Erst mit dem 14. Jahrhundert hätte die Differenzierung in die drei heutigen, »brüderlich verbundenen« Völker der Russen, Ukrainer und Weißruthenen begonnen. Doch auch hier wäre der »große Bruder« – d.h. das Russentum – die beherrschende, staatsschöpferische Kraft gewesen, die ihre »jüngeren Brüder« wie in einer großen Familie staatlich vereinte, und sie schließlich auch mit den »Errungenschaften« der sozialistischen Revolution »beglückte«.

Hruševs’kyjs Einstellung, die richtungsweisend für die nationalukrainische Historiographie wurde, war eine andere. In dem Bemühen, dem ukrainischen Volk einen organischen Ursprung zu geben, suchte er in den südwestlichen Ostslavenstämmen, den Poljanen, Severjanen, Derevljanen u.a., die »genetischen Vorfahren« der Ukrainer. Es waren dies die Stämme, die auf dem heutigen Gebiet der Ukraine siedelten. Er bestritt ferner den genealogisch-dynastisch begründeten Anspruch der großrussischen Geschichtsschreibung, welche die erste ostslavische Reichsgründung (die Rus’) der Geschichtstradition des russischen Volkes zurechnete.

Hruševs’kyj, der politisch stark populistisch orientiert war, unterstrich hingegen die »genetisch-ethnische« Komponente. Aus diesem Grund glaubte er, daß die Rus’ ausschließlich der Geschichte des ukrainischen Volkes angehöre, weil das eigentliche Kerngebiet der Rus’ (Kiev/Kyjiv, Černihiv, Perejaslav) mit den heutigen ethnischen Grenzen des ukrainischen Volkes identisch sei. Hruševs’kyj betonte, daß das Russentum erst in den nordöstlichen Fürstentümern Suzdal’ und Vladimir entstand, nachdem sich die dortigen Ostslavenstämme mit autochthonen finnischen Stämmen vermischt hatten.

Nachdem die Begriffe »Volk«, »Völkerschaft«, »Nationalität«, »Nation«, aber auch »Stamm« und »Rasse« noch um die Jahrhundertwende sehr unreflektiert und wie selbstverständlich als »Naturgröße« verwendet wurden, ist seit einigen Jahrzehnten in der Geschichtsforschung eine umfangreiche Diskussion im Gange, die sowohl den Gebrauch der Terminologie klären soll – letztere kann je nach Sprache starken Bedeutungsschwankungen unterliegen –, als auch das Phänomen des gemeinschaftlichen Bewußtseins untersuchen will, das zur Entstehung von Völkern führt.

So hat etwa der tschechische Mediävist František Graus in der Reihe »Nationes. Historische und philologische Untersuchungen zur Entstehung der europäischen Nationen« eine interessante Arbeit über früheste Formen der Nationswerdung unter den Westslaven (Tschechen, Polen) veröffentlicht. Graus wies die vom Darwinismus beeinflußte Vorstellung einer genetisch-deterministischen Entstehung von Nationen zurück und betonte, in welchem Maße bereits die historisch faßbaren Stämme Alteuropas ethnisch »gemischt« waren.

In einer grundlegenden Studie untersuchte Reinhard Wenskus den komplexen Prozeß der Stammeswerdung unter den Germanen. Er zeigte, daß die sogenannten »Stämme« (wie z.B. Goten, Franken, Sachsen, Baiern) ebenso wie die größeren Einheiten »Volk« und »Nation« das Ergebnis eines komplexen Integrationsprozesses bildeten. Gerade aus der undifferenzierten, ungenauen oder falschen Verwendung der Terminologie entstanden zahlreiche Mißverständnisse und Gegnerschaften.

Man verwendet inzwischen Begriffe wie »dynastisch-gentilizisches Bewußtsein«, »territoriales Bewußtsein«, »Landespatriotismus«, um mittelalterliche, pränationale Formen der gemeinschaftlichen Bewußtseinsbildung aufzuzeigen und zu kennzeichnen. Das über den älteren Abstammungszusammenhalt hinausreichende Gemeinschaftsgefühl äußerte sich zuerst innerhalb bestimmter Stände wie Adel und Klerus, oder aber im Rahmen einer Territorialgemeinschaft, die ethnisch nicht einheitlich zu sein brauchte, um sich als natio definieren zu können. Im mittelalterlichen Antwerpen beispielsweise unterschied man zehn »italienische« Nationen: die Kaufleute aus Ancona, Bologna, Neapel, Venedig, Sizilien, Mailand, Florenz, Genua, Mantua und Lucca. Die französische natio umfaßte bis ins 15. Jahrhundert lediglich die Bewohner der Ile de France. Umgekehrt wurden an der Prager Universität viele Deutsche zur böhmischen oder polnischen natio gezählt.

Neben der wesentlichen Bedeutung von Kult- und Religionsgemeinschaften bildet die Entstehung von Sprachgemeinschaften den wichtigsten Faktor im Entstehungsprozeß von Völkern. Erst im bewußten Ergreifen der gemeinsamen Sprache können sich die Angehörigen älterer Gemeinschaftsformen wie Stämmen oder Sippen zu einer seelisch-kulturellen Einheit zusammenschließen. Vor allem unter den Slavenvölkern läßt sich aufzeigen, daß der Begriff jazyk’’ bis ins Spätmittelalter eine Identität von »Sprache«, »Zunge« und »Volk« beinhaltete, und darüber hinaus auch eine sakrale Einheit umschloß.

Hruševs’kyjs von der Romantik beeinflußte Vorstellung einer genetisch-ethnischen Kontinuität des ukrainischen Volkes von dem Auftreten der Antae bis zur Entstehung eines modernen Nationalbewußtseins, sowie der daraus entspringenden »nationalen« Zuordnung der Rus’, ist heute nicht mehr ausreichend, da die Entstehung von Völkern und Nationen wesentlich komplexer und differenzierter gesehen werden muß.

Die großen, schöpferischen europäischen Kulturräume wie Südfrankreich, Burgund, Flandern, Oberitalien, das Rheintal, das Wiener Becken, stellten Begegnungsräume sehr unterschiedlicher Strömungen und Einflüsse dar. Und auch die Ukraine war seit Urzeiten ein solcher Kreuzungspunkt von Völkerschaften und Kulturen: Skythen, Sarmaten, Griechen, Kelten, Goten, Turkvölker, Araber, Chazaren, Varäger, kaukasische Stämme, Slaven – sie alle prägten die Eigenheit und den Charakter des ukrainischen Raumes und der Menschen, die in ihm siedelten.

Es ist also mehr als fragwürdig, die ostslavische Bevölkerung zur Zeit der Christianisierung ethnisch als »Ukrainer«, »Weißruthenen« oder »Russen« erfassen zu wollen. Der Vorgang der Ethnogenese war noch längst nicht abgeschlossen; im Gegenteil wurde er durch die Entstehung der Rus’ eigentlich erst ausgelöst, da erst von diesem Moment an religiöse, kulturelle, sprachliche Komponenten wirkten, die zu wesentlichen Merkmalen der späteren Völker wurden.

Dieser Prozeß verlief parallel zu der Entwicklung im übrigen Europa. Man kann beispielsweise die Geschichte Frankreichs darstellen und sich dabei auf den geographischen Raum beziehen, der heute Frankreich umschließt, doch wird man bis ins Spätmittelalter den Nationsbegriff »Franzosen« nicht verwenden dürfen, ohne dabei Fehleinschätzungen zu unterliegen oder einer tendenziösen Geschichtsschreibung zu verfallen, die im 19. Jahrhundert aus Gründen der »Staatsraison« durch den Pariser Zentralismus entwickelt worden ist.

Eine Schwierigkeit rührt nicht zuletzt auch aus der Tatsache, daß der westeuropäische Nationsbegriff etwas anderes beinhaltet, als der Volksbegriff in Mittel- und Osteuropa. Das »französische« oder »britische« Nationalgefühl bezieht sich in erster Linie auf staatlich-politische Einrichtungen, welche die Schaffung einer einheitlichen Nation erst ermöglichten. Die Konstituierung einer gemeinsamen »Staatsnation« wurde in entsprechender Weise auch von russischer bzw. sowjetischer Seite, sowie nach 1918 in der Tschecho-Slovakei und im Königreich SHS (Jugoslavien) angestrebt. Charakteristischerweise erwiesen sich diese Versuche nach westlichem Muster in den ostmittel-, südost- und osteuropäischen Staaten als eklatanter Fehlschlag.

Der Streit zwischen der ukrainischen und der russischen Geschichtsauffassung rührt also nicht zuletzt aus der falschen, weil für osteuropäische Verhältnisse unzulässigen Übernahme westeuropäischer Konzeptionen in das eigene Geschichtsdenken. Um die individuellen Besonderheiten der europäischen Geschichtsräume erfassen zu können, muß man jedoch zu einer Betrachtungsweise übergehen, die den unterschiedlichen Phänomenen in ihrer weitgestreuten Differenziertheit gerecht wird.

In der Sprachforschung haben Philologen wie Isačenko, Trubeckoj, Ševel’ov und Lehr-Spławiński darauf hingewiesen, daß der ostslavische Sprachzweig anfangs dialektal nur wenig aufgegliedert war. Man hat für die frühesten schriftlichen Denkmäler lediglich zwei Dialektbereiche ausgemacht:

– den Nordosten, d.h. die Länder um Novgorod, Pskov und Polock
– sowie den Südwesten, d.h. Kiev/Kyjiv, Polesien, Podolien, Wolhynien und Galizien.

Hier zeichnet sich also schon der Unterschied zwischen dem heutigen ukrainischen und russischen Sprachraum ab.

Doch stellt sich die grundsätzliche Frage: wann, wie und nach welchen Kriterien werden Dialekte zu einem kennzeichnenden Ausdruck eines Volkes oder einer Nation? Auch dieser Prozeß ist rätselhaft und nicht in einem einheitlichen Schema zu fassen. Im deutschen Sprachraum etwa wurde der niederfränkische Zweig der niederdeutschen Dialektgruppe zur Schriftsprache eines eigenständigen Volkes, der Holländer. Hingegen bildete sich über den übrigen niederdeutschen Dialekten ebenso wie über den mittel- und oberdeutschen Dialektgruppen eine allen Angehörigen der Sprachfamilie gemeinsame Hochsprache, das Neuhochdeutsche.

Isačenko hat darauf aufmerksam gemacht, daß sich die dialektale Zweigliederung des ostslavischen Raumes erst nach 1160 intensivierte. Dies geschah in der Folge des sogenannten »Jer-Wandels«, der um 1350 einen gewissen Abschluß fand. Der »Jer-Wandel« wird heute in der Philologie als Kriterium dafür genommen, die ostslavischen Dialekte des Nordostens und des Südwestens als Subjekte einer getrennten Sprachentwicklung zu sehen.

Die kulturell-religiöse Einheitlichkeit der Ostslaven bis zum Ausgang des Mittelalters wird zudem durch das Phänomen der Diaglossie unterstrichen: während in weltlichen Urkunden die ostslavische Umgangssprache in Dialektvarianten verwendet wurde, gebrauchte man in den religiösen und künstlerischen Denkmälern ausschließlich das Kirchenslavische. Die linguistischen Unterschiede z.B. in den zahlreichen Chroniken (lětopisi) gehen weniger auf regionale Dialektformen, sondern auf die Gewohnheiten der Skriptorenschulen zurück.

Es ist demnach problematisch, die Bewußtseinseinheit, die ein Volk oder eine Nation bildet, als eine bloße Summe verschiedener Stammeseinheiten zu interpretieren. Der Vorgang der Nationswerdung ist weit mehr als eine bloße Fortentwicklung der biologischen Komponenten.

 

2. Der Kampf um das Kiever Erbe

Damit kommen wir zum zweiten Beispiel: dem Streit um die »staatlichen Kontinuität« der Kiever Rus’.

Der Begriff »Staat« (russ. gosudarstvo, ukr. deržava) an sich ist schon problematisch. Es setzt sich immer mehr die Auffassung durch, daß man die vorneuzeitlichen Reichsgebilde noch nicht mit dem Begriff »Staat« belegen darf. Durch die Vermengung der beiden Größen »Staat« und »Nation« hat sich seit der Französischen Revolution eine bestimmte Werteskala gebildet, der zufolge in der Errichtung eines Nationalstaates der Gipfelpunkt in der Entwicklung eines Volkes gesehen wurde. Völker, die aus welchen

Gründen auch immer einen solchen Staat nicht vorweisen konnten, galten in dieser Werteskala irgendwie als »minderwertig« oder »schwächlich«. Engels etwa sprach abfällig von den »nichthistorischen Völkern«. Da diese angeblich »nichthistorischen Völker« in einer Zeit zu ihrem nationalen Selbstbewußtsein fanden, als in Europa eine wahre »Staatstrunkenheit« herrschte (frei nach Hegel, der im preußischen Staat den Weltgeist atmen hörte), versuchten sie verständlicherweise, auch in ihrer geschichtlichen Entwicklung ein vorgeblich »nationales« Staatswesen nachzuweisen. Die Slovaken fanden es im Großmährischen Reich, die Slovenen bei den Karantanen des 6. Jahrhunderts, die Rumänen bei den Dakern der Römerzeit.

Die klassische russische Historiographie des 19. Jahrhunderts vertrat die Ansicht, daß eine gerade genealogische Linie in dem Fürstentum der Kiever Rus’ begann, und über Suz’dal und Vladimir zur Zarenherrschaft in Moskau und Petersburg führte.

Dieses Schema basierte auf religiös-ideologischen Konzeptionen der Moskoviter, die auf der Formel »Moskau, das dritte Rom« gegründet waren; die »Sammlung der russischen Länder« wurde zum programmatischen Ziel der moskovitischen Expansionspolitik.

Weil die klassische russische Historiographie aber gleichzeitig die Existenz einer »allrussischen Nation« proklamierte, stand man vor dem Dilemma, wie Hruševs’kyj richtig bemerkt hat, daß man in der Beschreibung dieses »allrussischen Reiches« ganze Bevölkerungsteile ausklammern mußte. Denn der größte Teil der Ukrainer und Weißruthenen lebte jahrhundertelang auf dem Boden der polnisch-litauisch-ruthenischen Rzeczpospolita.

Die heutige exilrussische und viele westliche Publikationen stehen, sofern sie die Anschauungen Ključevskijs weiterentwickelt haben, vor demselben Problem: da tauchen hier und da wie aus dem Nichts »Ukrainer« und »Weißrussen« auf, während ihre Lebensräume als »Südrußland« und »Westrußland« tituliert werden. Hingegen wird die Geschichte der Ukrainer und Weißruthenen in den Perioden ausgespart, in denen diese Völker sich nicht unter Moskoviter oder Petersburger Herrschaft befunden haben.

Die sowjetische Geschichtsschreibung umging das Problem, indem sie eine Istorija SSSR entwickelte, in der sämtliche Völker und Nationalitäten auf Unionsgebiet von ihren Anfängen bis heute dargestellt wurden, als ob es einen zusammenhängenden Geschichtsraum SSSR schon immer gegeben hätte.

In der jüngsten sowjetischen Gesamtdarstellung zur Geschichte der Ukraine aus dem Jahr 1982 wird dagegen wieder auf den alten Kontinuitätsanspruch verwiesen: Zwar hätten die drei ostslavischen »Nationalitäten« (narodnosti) drei unterschiedliche ethnische Bezeichnungen angenommen, doch hätten sie sich alle unter einem gemeinsamen Namen vereint: Russkie, Russen. Deswegen hätte auch der »russische zentralistische Staat« das Erbe Kievs antreten können, um alle drei »Nationalitäten« aufgrund ihrer naturgegebenen historischen Gemeinsamkeit (istoričeskaja obščnost’) brüderlich zu sammeln.

Hruševs’kyj und mit ihm der größte Teil der nationalukrainischen Historiographie waren anderer Ansicht: Da das Kiever Reich in erster Linie eine Schöpfung des ukrainischen Volkes war, setzten sich seine Traditionen nicht im Nordosten, sondern im Westen, im Fürstentum Galizien-Wolhynien fort, danach im Großfürstentum Litauen, in der Rzeszpospolita, und schließlich in der Hetman-Ukraine bis zu ihrer Annexion durch das zaristische Rußland.

Die Schwäche all dieser Konzeptionen beruht in der systematischen Anwendung moderner Ideologien und Begriffe auf Epochen, die von völlig anderen Wertmaßstäben und Inhalten geprägt wurden.

Auch wenn Hruševs’kyj das Kiever Reich mit Rom und die nordöstlichen Fürstentümer mit Gallien vergleicht, ist dieser Vergleich unpassend, da das keltische Gallien von einer ethnisch völlig fremden Sprache und Kultur durchdrungen wurde, während unter den Ostslaven die ethnische Differenzierung auf philologischer Grundlage sich erst im Spätmittelalter deutlich abzuzeichnen begann; die kulturell-sakrale Sphäre des orthodoxen Christentums war weder für die eigentliche Rus’ um Kiev, noch für die Fürstentümer des Nordens und Nordostens etwas »Importiertes«.

Erst im Hochmittelalter begannen in ganz Europa verschiedene Territorialgruppen mit der Ausgestaltung eines Gemeinschaftsbewußtseins, daß sich in der Sprache wiedererkennt. Erst dann zeichneten sich auch Versuche ab, dieses erwachende »Nationalbewußtsein« mit bestehenden politisch-dynastischen Herrschaftstraditionen zu verknüpfen. Dies geschah um 1300 beispielsweise in Polen, Böhmen, Frankreich und England.

Die Rus’ war bekanntlich kein zentralistisch verwalteter »Staat« im heutigen Sinne, sondern eigentlich ein sehr lockerer Verband einzelner Fürstentümer und Länder (zěmli). Das Prestige der »Mutter aller Städte« (Kiev/Kyjiv) und damit der Großfürstenwürde beruhte zu einem großen Teil auf der Tatsache, daß die Stadt das geistige und religiöse Zentrum der Rus’ darstellte. Der Kampf um die Herrschaftsnachfolge war zugleich der Kampf um Zeichen und Symbole religiöser Natur, durch welche die Herrschaft erst legitimiert werden konnte.

Großfürst Jaroslav (1019-1054) hatte die Fürstentümer in einer Art Rangordnung an seine Söhne aufgeteilt. Die komplizierte Nachfolgeregelung des Seniorrates, die ein ständiges Rotieren der lokalen Herrscherlinien vorsah, geriet zusehends mit der Praxis des »Vatererbes« (votčina) in Konflikt, welche die Etablierung einer souveränen Dynastie in den einzelnen Fürstentümern begünstigte. Drei Hauptlinien der Rjurikidendynastie (Černihiv, Rostov-Suzdal’-Vladimir, Halyč-Volynien) führten seit der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts einen regelrechten Kampf um das Kiever Erbe.

Während sich also die herrschaftliche Macht zersplitterte, wurde der gesamte orthodox-ostslavische Raum der Rus’ im Sinne der byzantinischen Theologie als sakrale Einheit aufgefaßt. Der Gebrauch der kirchenslavischen Liturgie nach griechischem Ritus trug zur Gemeinschaftsbildung bei, so daß jazyk'' im Sinne von »Glaubensgemeinschaft«, »Sakralsprache« und »Volk« zu einem ersten Ausdruck eines ostslavischen »sakralen Nationalgefühls« wurde, der dem weltlichen dynastischen Territorialpatrotismus vorerst übergeordnet sein mußte.

Die Kiever Metropoliten, die aus kirchenpolitischen Gründen grundsätzlich griechischer Herkunft waren, trugen nicht den Titel ihrer Stadt, sondern beanspruchten die Ganzheitsformel »vsja Rus’«. Die sakrale Bedeutung des Begriffs Rus’ wurde von der weltlichen Bedeutung unterschieden, der zufolge Rus’ oder Rus’skaja zěmlja das engere Kernland um Kiev, Černihiv und Perejaslav umfaßte. Das Konzept »vsja Rus’« wurde in zwei Fürstentümern aufgegriffen, die beide um das Kiever Erbe konkurrierten und ursprünglich gar nicht zum engeren Kernland der säkulären Rus’ gehörten: Galizien (Halyč) und Vladimir-Suz’dal bzw. später Moskau.

In Galizien gebrauchte der Herrscher Danylo Romanovyč (1237-1264), der sich in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts der lateinischen Kirche annäherte, erstmals die westliche Formel »rex Rusciae«. Sein Vorgänger Roman Mstyslavyč (1199-1205) führte hingegen noch den byzantinischen Titel des »Autokrators« samod’rž’c’ vseja Rusi. Der Chronist der galizischen Ipat’evskaja letopis’ verwendet systematisch den Begriff »Rus’«, wenn er sich auf Galizien bezieht. Ein Siegel des Königs Jurij L’vovyč (1301-1308) trägt die lateinische Aufschrift »s(igillu) domini georgi regis rusie«.

Unter dem Einfluß des lateinischen politischen Denkens wird also der Sakralbegriff »vsja Rus’« in Galizien säkularisiert und in einen dynastisch-territorial-nationalen Begriff umgewandelt, der die Kontinuität des Kiever Erbes beansprucht. Bei diesem Vorgang spielt die Kirchenpolitik von Papst Innozenz IV. und die damit verbundene Erhebung Galiziens zu einem Regnum nach westlich-royalistischem Muster eine wesentliche Rolle.

So vollzog sich in Galizien (Halyč) in Hinblick auf die Verschmelzung der Begriffe regnum und natio ein ähnlicher Prozeß wie etwa in Polen, Ungarn, Böhmen oder Frankreich.

In den Fürstentümern des Nordostens hingegen vollzog sich diese säkularisierende Verwestlichung nicht. Nicht zuletzt der Mongoleneinfall sorgte dafür, daß der byzantinisch-oströmische Universalismus, der sakrale und weltliche Sphäre verschmolz, erhalten blieb. Schon Fürst Andrej Jur’evič Bogoljubskij (1157-1175) versuchte die »sakral-einheitliche Aura«, die Kiev umgab, auf seine nordöstlich gelegene Residenzstadt Vladimir an der Kljaz’ma zu übertragen. Er veranlaßte den planmäßigen Ausbau der Stadt und den Bau goldkuppeliger Kirchen, zerstörte Kiev im Jahre 1169 und holte die wundertätige Muttergottesikone von Vyšhorod bei Kiev nach Vladimir. Schließlich bat Andrej Bogoljubskij in Konstantinopel um die förmliche Verlagerung der Kiever Metropolie vseja Rusi nach Vladimir, was vom byzantinischen Patriarchat jedoch zurückgewiesen wurde.

Der Anspruch auf die sakral-einheitliche Rus’ wurde in Moskau in ein politisch expansives Programm fortentwickelt. Sobald sich dem Fall Konstantinopels der Moskoviter Herrscher mit aktiver Unterstützung der Kirche zum Schützer der Orthodoxie, des Pravoslavie, stilisierte, war damit auch gegeben, daß er die »Sammlung« aller Glaubensbrüder vseja Rusi in einem »heiligen Reich« anstreben mußte. Die Ausformung dieser theokratisch-ideologischen Politik erfolgte auf dem Hintergrund des, für das orthodoxe Empfinden bedrohlichen, religiösen und territorialen Vorrükkens der lateinischen »Schismatiker« (Florentiner Union von 1439, Expansion der Litauer).

Mit nationalen, »ukrainisch-russischen« Gegensätzen im heutigen Sinn ist dieser Konflikt jedenfalls nicht in Verbindung zu bringen; der Gegensatz geht zwar u.a. aus jener Entwicklung hervor, er hat sie aber nicht verursacht. Der Kampf um das Kiever Erbe vollzog sich zwischen Dynastien, die ursprünglich miteinander eng verwandt waren und dem gleichen Kulturkreis angehörten. Erst die weltgeschichtlichen Umstände im spätmittelalterlichen Osteuropa führten dazu, daß die qualitative Interpretation des Kiever Erbes und dessen Translatio im lateinisch-mitteleuropäisch beeinflußten, »protoukrainischen« Halyč und im byzantinisch-orientalisch beeinflußten, »protorussischen« Vladimir-Moskau in unterschiedlicher Weise erfolgte.

 

Die ukrainische Historiographie integriert das Kiever Reich zu Recht in die Geschichte des ukrainischen Volkes; allerdings ist es im gesamteuropäischen Vergleich mehr als problematisch, die Rus’ als eine »ukrainische Staatsgründung« interpretieren zu wollen, ähnlich wie das Karolingerreich keine »deutsche« oder »französische Staatsgründung« gewesen ist. Auch die Entstehung des eigentlichen Rußland ist ohne den Rückgriff auf das Kiever Reich nicht zu verstehen. Es wird jedoch gerade für die westliche Forschung notwendig sein, von den undifferenzierten oder falschen Bezeichnungen »Kiever Rußland«, »Altrußland«, »Russen« abzukommen, und ein Vokabular zu wählen, das der Kompliziertheit der Vorgänge gerecht wird.

Die Historiographie – sofern sie keiner ideologischen Programmatik verpflichtet ist – bemüht sich heute verstärkt, das religiöse, politische, nationale und soziale Selbstverständnis der Menschen, Völker und Kulturen in den verschiedenen Geschichtsepochen nachzuzeichnen. Nur auf diese Weise wird man Europa in seiner Vielfalt und Differenziertheit erfassen können. Die Geschichtswissenschaft kann nicht dazu dienen, »historische Ansprüche« abzustecken oder zu legitimieren, sondern sie sollte in erster Linie zu beschreiben versuchen, auf welche Weise Vielgestaltigkeit religiöser, nationaler und sozialer Natur in Europa entstehen konnte.


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