L. N. PU©KAREV

Duhovnyj mir russkogo krest'janina po poslovicam XVII-XVIII vekov

Nauka: Moskva 1994. 192 S.

 

 

Der Verfasser versucht die Vorstellungswelt der russischen Bauern im 17. und 18. Jh. anhand von Sprichwörtern zu entziffern und stützt sich dabei u.a. auf die Sammlungen von P. K. Simon' (1899), A. I. Bogdanov (1961), E. R. Romanov (1910) und I.-V. Paus sowie auf unveröffentlichtes Material aus dem Pu¹kinskij Dom, der Rußländischen Akademie der Wissenschaften, der Rußländischen Staatsbibliothek und dem Rußländischen Historischen Staatsarchiv. Untersucht werden die "sozialen Aspekte" (soziale Beziehungen, Schule und Unterricht, Natur) sowie die "sittlich-ethischen und familial-alltäglichen Aspekte" (bäuerliche Ethik, Liebe, Stellung der Frau und der Familie) in der Weltanschauung der russischen Landbevölkerung. Methodik und Problemstellung der Untersuchung sind größtenteils noch der sowjetischen Tradition verpflichtet.

Dementsprechend konzentriert sich der Verfasser auf jene Sprichwörter, in denen sich vorherrschende soziale und gesellschaftliche Zustände widerspiegeln, die Realitäten der "Epoche des Feudalismus" und das "Klassenbewußtsein" der Bauern. Selbst im Abschnitt über die "Natur im Sprichwort" werden nur jene Vorstellungen aufgeschlüsselt, die sich auf das Wechselverhältnis von Jahreszeit und bäuerlicher Tätigkeit oder auf "realistische" Naturbeobachtung beziehen, keineswegs aber religiöse oder magische Vorstellungen; die Frage nach dem möglichen Fortleben des dvoeverie in der petrinischen Zeit stellt sich somit erst gar nicht.

Generell ist das religiöse Universum der Bauern in dem Buch so gut wie ausgeblendet. Die Auswirkungen des Raskol auf die Landbevölkerung werden nicht erörtert, somit auch nicht die Frage, ob sich bereits eine spezifische Vorstellungswelt der Altgläubigen in den Sprichwörtern erkennen läßt -- eine auch in soziologischer Hinsicht nicht unerhebliche Frage! Pu¹karevs Arbeit wird deshalb ihrem Titel nicht gerecht; von dem duchovnyj mir des russischen Bauerntums ist nicht viel zu erfahren, höchstens von seinem sozialen Selbstverständnis, aber auch hier sind die Interpretationen des Verfassers oft allzu tendenziös.

Markus Osterrieder

 

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