Petr Chelèický

Ein vergessener Vordenker neuer sozialer Gemeinschaftsformen

 

von Markus Osterrieder

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NACHDEM JAN HUS, der tschechische Vorkämpfer einer Kirchenreform, auf dem Konstanzer Konzil im Jahre 1415 als Ketzer verbrannt worden war, brachen in seiner böhmischen Heimat schwere Unruhen aus, die gleichermaßen gegen kirchliche und weltliche Autorität gerichtet waren. Damit begann die erste der modernen Revolutionen, die bereits alle Anliegen des neuzeitlichen Menschen in keimhafter Form zum Ausdruck brachte. Die 'Hussitische Revolution' forderte Freiheit für das religiöse Bekenntnis, Gleichheit in rechtlichen, politischen und nationalen Belangen, sowie Brüderlichkeit in den sozialen Verhältnissen, denn in dem radikalen Flügel der böhmischen Hussiten, den Taboriten, formulierten rechtlose Vertreter des 'Dritten Standes' ihre radikalen Anliegen. In den Traktaten der Taboriten trat zum ersten Mal in der abendländischen Geschichte die moderne soziale Frage mit voller Intensität zutage.

Inmitten der kriegerischen Vorgänge der hussitischen Revolution wirkte ein Mann durch sein stilles Vorbild, mit einer Vision von menschlicher Gemeinschaftsbildung, die weit in die Zukunft wies. Von seinem Lebenslauf ist fast nichts bekannt, vermutlich stammte er aus dem verarmten Landadel. Die ersten Drucke aus den Jahren 1521/22 seiner ursprünglich fast sämtlich anonym verfaßten Schriften bezeichnen ihn mit dem Namen Petr Chelèický. Er dürfte zwischen 1380 und 1460 gelebt haben. Petr Chelèický hatte sich 1419-20 in Prag aufgehalten und war Zeuge der aufbrechenden Konflikte und Kämpfe gewesen, die um die böhmische Reform entbrannten. Obwohl er ganz im Geiste der hussitischen Ideale dachte, verurteilte er entschieden, daß die christliche Wahrheit mit dem Schwert verteidigt und verbreitet werden sollte. Dabei näherte er sich in seinen Ansichten dem Gedankengut der Waldenser, mit denen er in Südböhmen vielleicht noch in Kontakt gekommen war.[1]

Im Jahr 1420 verfaßte er eine längere Abhandlung mit dem Titel O bojí duchovným ('Vom geistigen Kampf'), in der er zum erstenmal seine Ansichten über den gewaltlosen Kampf entwickelte. Er sagte, daß die Nachfolge Christi den völligen Verzicht auf Gewalt, das Verbot jeglichen Tötens, ja sogar die Gerichtsbarkeit und die weltliche Gesetzgebung verbiete. Man dürfe keinen physischen Kampf gegen das Böse führen, sondern müsse mit dem "Fürsten der Finsternis" geistig ringen. Damit wandte er sich gegen den aggressiven Fanatismus der Taboriten, von denen er meinte, daß sie durch ihre Gewaltanwendung selbst dem Bösen verfielen: "Wir müssen erkennen, wie unsere Brüder offenkundig von Satan verführt wurden (...). Der Teufel kam zu ihnen in andere Gewänder gehüllt: denen der Propheten und des Alten Testaments (...), und er sagte ihnen, daß sie Engel seien, die alles Übel aus Christi Königreich tilgen müßten, und daß sie die Welt richten müßten.Und so begingen sie viele Morde und führten viele Menschen ins Elend."[2]

Chelèický erkannte, daß als Folge der physischen Vernichtung das bekämpfte Übel geistig in den Siegern wiederauflebt: "Vergebens denken die Menschen jetzt daran, mit der Macht dieser Welt und ihrer Waffen den Teufel zu vernichten. Denn wenn sie die Mauern berennen, innerhalb derer der Teufel wohnt in den bösen Menschen, die hinter diese Mauern sich eingeschlossen haben, so achtet dessen der Teufel nicht. Er wird aus diesen eingerannten Mauern mit den bösen Menschen ungnädig herauskommen und in jene eingehen und in ihren grausamen und lieblosen Herzen wohnen und da werden sie schwerlich das Herz anrennen, denn nicht werden sie gewahr, daß er eben da drinnen sei."[3]

Chelèický ist in der Konsequenzziehung seiner Lehre von der Gewaltlosigkeit kompromißlos gewesen; man findet bei ihm keine Trennung des Einzelnen in Weltmensch und Christenmensch wie etwa bei Luther. Chelèický glaubte erkannt zu haben, daß die Einrichtung des weltlichen Staates von Natur aus auf Macht und damit der Gewaltanwendung beruhen müßte, "denn die Macht kann sich nicht anders denn durch Grausamkeit offenbaren. Hört sie auf, grausam zu sein, wird sie an sich selbst zugrunde gehen, denn niemand wird sie fürchten." Deshalb verkündete er eine radikale Ablehnung der weltlichen Einrichtungen, der Gesetze, Gerichte, Besteuerungen, Kriegsdienste, die nur dem Unrecht dienten, denn: "Zum Vorteil seiner Regierung muß der Staat seine Untertanen beherrschen".[4]

Luther hingegen formulierte hundert Jahre später: "(...) Sie [die Menschen] sind nach dem Geiste niemandem als Christo unterworfen. Aber dennoch sind sie mit Leib und Gut der weltlichen Obrigkeit unterworfen und ihr gehorsam zu sein schuldig. Wenn sie nun von der weltlichen Obrigkeit zur Teilnahme am Streit aufgefordert werden, dann sollen und müssen sie gehorsam streiten, nicht als Christen, sondern als Glieder und Leute, die nach dem Leibe und zeilichen Gut untertänig und gehorsam sind."

Carl Vogl, der diese Stelle zitiert, kommentiert richtig: Luthers Weisung bedeutet eine unmögliche Spaltung des Menschen in zwei Persönlichkeiten, von denen jede ein der andern genau entgegengesetztes Verhalten zu befolgen hätte. Aus dem gewaltsamen Zerreißen des Daseins zu einem unmöglichen Nebeneinander mußte ein Gegeneinander werden, in welchem das Materiell-Brutale zur Alleingeltung kam. Das gute Gewissen, das Luther dem Weltmenschen gab zu all seinem Tun und Lassen, wuchs sich aus zu vollkommener Gewissen- und Gottlosigkeit. Im Sozialen verschärften sich die Gegensätze immer mehr: der Übermut der Herren -- das Sklaventum des Volkes. Und Luther trägt sein gutes Maß Schuld daran."[5]

Im völligen Gegensatz dazu griff Chelèický als einer der ersten die in der Scholastik ausformulierte Soziallehre von den drei Ständen an: der Herrenstand und der Priesterstand sollten demnach vom Nährstand der "fronenden Arbeiter" unterhalten werden. "Zwei Parteien ist sie schmackhaft, sintemal beide faul, gefräßig und verschwenderisch sind; liegen sie doch auf der dritten Partei, diese sich unterwerfend; und diese trägt mit ihren Schmerzen die Üppigkeit jener zwiefachen Fresser (...)."[6]

In Chelèickýs Ansichten spiegeln sich in verwandelter Form Lehren der neomanichäischen Bogomilen wider, die schon im Bulgarien des 10. Jahrhunderts zum Widerstand gegen die Autoritäten aufgerufen hatten, um Platz für neue soziale Gemeinschaftsformen zu schaffen: "Sie lehren ihren Anhängern, sich nicht den Autoritäten zu unterwerfen, sie verachten die Reichen, sie hassen die Herrscher, sie verspotten die Obrigkeit, sie beleidigen die Herren, sie glauben, daß Gott diejenigen verachtet, die für den Kaiser arbeiten, und sie empfehlen jedem Diener, nicht für seinen Herrn zu arbeiten", hieß es in der Schmähschrift des orthodoxen Presbyters Kozmas.[7]

Chelèický setzte dem Gewaltprinzip des Staates das von Christus in die Welt gebrachte Liebesprinzip entgegen: "Diese zwei Reiche, die zeitliche Gewaltordnung und der christliche Liebespfad, sind weit voneinander entfernt. (...) Eine Handlung, die unter dem Zwang der Autorität ausgeführt wurde, ist sehr verschieden von einer Handlung, die in Liebe und mit gutem Willen geschah, aus denen die Worte der Wahrheit aufsteigen. (...) Die Mächtigen sind nicht vom Glauben geführt, auch braucht der Glaube sie nicht. (...) Denn die Fülle der Autorität liegt in der Anhäufung von Reichtümern und dem Sammeln von bewaffneten Männern, Burgen und umwallten Städten, während die Fülle und Vollendung des Glaubens in Gottes Weisheit und in der Kraft des Heiligen Geistes beruht. Einzig von geistiger Kraft gestützt, hält der Glaube auch ohne die Macht der Autoritäten stand, die nur Furcht erzeugen und ihre Wunschziele nur mit Hilfe des Zwangs erreichen können."[8]

Chelèický meinte, zwischen Gott und dem Teufel, zwischen dem Leibe Christi und dem Leibe des Antichristen werde ein gewaltiger geistiger Kampf um die Welt geführt. Zwar wolle Gott die Erlösung aller, auch der sündigen Menschen, doch habe er die dunkle Macht in der Weltenentwicklung zugelassen, um dem Menschen die Möglichkeit zu geben, sich in Freiheit den Geboten Christi zuzuwenden. Nur der Teufel und seine weltliche Schöpfung, der Staat, verwendeten den Zwang. Gott aber wolle den willensfreien Menschen: "Deshalb vermag Er [Gott] überall, wo er will, aber Er wirkt doch nicht dort, wo der Mensch nicht will. Und deshalb, weil Er wirken will, sucht Er unseren Willen, aber der böse Wille vertreibt Ihn, damit er nicht in ihn [in den Menschen] eingehe und nichts in ihm wirke."[9]

In seinem Hauptwerk Sí» víry ('Das Netz des Glaubens') schrieb Chelèický, daß die Urkirche bis ins 4. Jahrhundert das Liebesgebot Christi erfüllte und sich nicht mit dem Staat vermischte. Doch als der heidnische Kaiser Constantin das Christentum zur Staatsreligion machte, wirkte er mit seiner Macht, seinen heidnischen Einrichtungen, Gesetzen und Erlassen wie ein riesiger Walfisch in dem Fischernetz des Glaubens, in das er auf diese Weise Löcher riß. Die Folge davon war: "Die Dinge, um derentwillen die ersten Christen von der heidnischen Macht zu leiden hatten, eben diesen Dingen folgen die jetzigen Christen nach, als wenn's der Glaube wäre."[10]

Der andere zerstörerische Walfisch sei nun die römische Kirche, die durch die 'Constantinische Schenkung' wie ein Mastschwein Kaiserherrschaft und weltliche Ehre noch über den Kaiser hinaus angenommen habe: "Und so hat er [Constantin], den kaiserlichen Stuhl verlassend, dem heiligen Petrus und dessen künftigen Statthaltern ihn errichtet. Und hat solcherart die tiefe und starke Wurzel und das Gezweig allen Giftes eingesetzt, auf daß mannigfaltige Früchte des Todes daraus üppig erwüchsen und die Welt ertöteten."[11] Er forderte deshalb die strikte Trennung von Staat und Kirche, die das Gebot Christi niemals erfüllen könnte, solange sie in irgendeiner Weise mit den weltlichen Einrichtungen vermischt sei.

In Chelèickýs Ideal einer sozialen Brüderschaft gab es keinen Platz für einen König, da die Brüderschaft, die Gemeinschaft der Heiligen, durch ihr christliches Leben ihren wahren König in Christus fand.[12] Denn der Heilige Geist bewirkt diese Gemeinschaft oder Genossenschaft unter den Heiligen, das heißt die Vereinigung der Glieder miteinander zu Christi geistigem Leibe und dieses Leibes Vereinigung mit ihrem Haupte, Christus, durch den Glauben und die Gnade. (...) Und diese alle nennen wir die heilige Kirche (...) Und so nimmt jeder Gerechte, der ein Glied dieses Leibes ist, Macht und Leben von diesem Haupte, von Christus. (...) Und mit nichts könnte [der Mensch] sie sonst ehren, als damit, daß er ihnen alles zur Ehre und Freude tut und auch selber ihnen zur Ehre und Freude gereicht, indem er mit ihnen in heilige Gemeinschaft tritt. (...) Damit jeder eines jeden teilhaft sei. Nicht so ist es zu verstehen, daß, wenn einer einem Nächsten ein leibliches Almosen reicht, er das nämliche einem jeden in der ganzen Welt tun könnte; sondern gleichwie wenn er die kranke Hand heilte, so käme dies dem ganzen Leibe und sämtlichen Gliedern dieses Leibes zugute."[13]

Petr Chelèický verwarf sowohl die katholische wie auch die taboritische Transsubstantationsauffassung. Der Mensch könne mit der Ratio über die Eucharestie nicht spekulieren. Er müsse sich beim Abendmahl mit dem Herzen auf den verborgenen Leib Christi konzentrieren. Jede spekulative Erklärung sei unsinnig, da Gott ohnehin wesenhaft allgegenwärtig sei, "mit all seinem Gut und seinem Wissen, mit seiner Macht und Weisheit, immer, zu jeder Zeit und an jedem Ort und in jedem Geschöpf und besonders in jedem Menschen." Durch den Sündenfall sei die Ratio zur Erkenntnis Gottes nicht fähig. Doch könne jeder gläubige Christ einen Erkenntnisweg beschreiten, um Gott in der Welt wiederzufinden. Dieser Erkenntnisweg besteht nach Chelèický in der mystischen Versenkung in das Wort des Evangeliums. Hierbei handle es sich nicht um ein intellektuelles Vermögen als vielmehr um einen menschlichen Willensakt.[14]
Diese für die damalige Zeit wahrhaft revolutionären Gedanken entwickelte Petr Chelèický in den vierzig Jahren, in denen er bis zu seinem Tod um 1460 völlig zurückgezogen in seiner kleinen Gemeinde in Südböhmen lebte. Welche Kraft von solchen Gedanken ausgehen konnte, das hat Carl Vogl 1926 richtig erkannt: "Was wäre geschehen, wenn Chelèickýs Geistigkeit lautesten Widerklang gefunden hätte im tschechischen Volk? Wenn dieses Volk ein heiliges Bekenntnis abgelegt hätte zur Gewaltlosigkeit aus christlicher Liebespflicht? (...) Ein Volk, das in seiner Ganzheit auf dem Geistesgrunde eines Chelèický zur Gewaltlosigkeit sich entschlösse, wäre unüberwindbar in seinem Wesen und Sein: es stellte eine Geistesmacht von so urgewaltiger Größe dar, daß es für alle anderen, nicht zumindest für die, welche es bekriegen und vielleicht äußerlich unterwerfen, ein derartiger Segen sein müßte, daß es sie in seinen Bann zöge und -- entwaffnete. Eine seelische Kraft ginge von ihm aus, die eine wurzelhaft neue Einsicht und Güte um sich verbreiten und alles in einen höheren Umkreis heben würde. (...) Ein gewisses Verständnis für diese Dinge könnte uns aufgehen in der Gandhi-Bewegung unserer Tage."[15]

Und in der unmittelbaren Gegenwart sollte man an dieser Stelle in erster Linie an die polnische Solidarno¶æ denken, der es 1980/81 gelang, den gewaltfreien Widerstand gegen einen Staatsapparat in einem großen organisatorischen Rahmen durchzuhalten. In der Tschechoslovakei selbst war in den Jahren 1976-1989 die Menschenrechtsgruppe Charta 77 im Sinne der von Chelèický entwickelten Gedanken tätig. Man lese nur den großartigen Essay von Václav Havel, 'Versuch in der Wahrheit zu leben'.[16]

Einen späten Bewunderer fand Chelèický auch in Lev Nikolaeviè Tolstoj (1828-1910), der von dem späteren ersten Staatspräsidenten der Tschechoslovakei Tomá¹ Garrigue Masaryk (1850-1937) auf den Tschechen hingewiesen wurde. Tolstoj erkannte seine eigene Idee vom 'Nicht-Widerstreben gegenüber dem Bösen' in Chelèickýs Ansichten wieder. Er berichtete selbst: "Als ein überraschendes Beispiel solcher Unbekanntheit von Werken, die auf Klarstellung der Frage des Nicht-Widerstrebens gerichtet sind und auf die Widerlegung derjenigen, die dieses Gebot nicht anerkennen, bietet das Schicksal des Buches des Tschechen Chelèický, das erst vor kurzem bekannt wurde und bis heute noch nicht gedruckt ist. (...) In diesem Werke ['Das Netz des Glaubens'] hat Chelèický, wie mir der Professor [Masaryk] schrieb, vor vier Jahrhunderten dieselbe Ansicht über das wahre und falsche Christentum ausgesprochen, die ich in meinem Werk 'Mein Glaube' ausgesprochen habe. (...) Dieses Buch ist eines von den wenigen dem Scheiterhaufen entronnenen, die das offizielle Christentum entlarven. (...) Wie man es auch betrachtet, ist es eines der bemerkenswertesten Schöpfungen sowohl nach der Tiefe seines Inhaltes, wie nach der wunderbaren Kraft und Schönheit seiner volkstümlichen Sprache und nach seinem Alter. Und doch bleibt dieses Buch nun schon mehr als vier Jahrhunderte ungedruckt liegen und wird niemandem bekannt außer den gelehrten Spezialisten."[17] Und an anderer Stelle sagte Tolstoj von Chelèický, daß dieser "innerhalb des Christentums denselben Rang einnimmt, den das Christentum innerhalb der Weltgemeinschaft einnimmt."[18]

Schon Petr Chelèický hatte in dem südböhmischen Dorf Chelèice eine kleine Gemeinde um sich versammelt, um abseits der großen Unruhen jener Zeit ein rechtschaffen christliches Leben zu führen. Je mehr sich die Prager Utraquisten der katholischen Partei annäherten, um zu einem Kompromiß zu finden, desto zahlreicher entstanden solche kleinen Gemeinden beiderlei Geschlechts unter der Führung von Laien, in denen auch Chelèickýs Schriften zirkulierten. Um 1457 nannte sich eine Gruppe 'Brüder vom Gesetz Christi' oder einfach 'Brüder'; sie bestand größtenteils aus Handwerkern, Knechten und Tagelöhnern. Nun schlossen sich auch Waldenser und Taboriten der Brüdergemeinde an, die anfangs noch eine besondere Vereinigung im Rahmen der utraquistischen Kirche darstellte, doch schon bald darauf verketzert wurde. Sie wurde unter dem Namen Jednota bratská ('Brüderunität') bekannt.[19]

Die Brüdergemeinde versuchte die Lehre Chelèickýs zu verwirklichen, außerhalb jeglichen staatlichen Rahmens ein Gemeinschaftsleben aufzubauen: die Brüder durften den König nicht um Hilfe bitten, nicht vor Gericht erscheinen und nicht schwören, kein Amt ausüben und keinen Kriegsdienst leisten. Ihr Oberhaupt wurde in den ersten Jahren ein ehemaliger Mönch des Slavenklosters Emmaus in Prag mit Namen Gregor (gest. 1474), der ein Neffe des inoffiziellen utraquistischen Erzbischofs von Prag, Jan Rokycana, war.

Rokycana beschuldigte die Brüdergemeinde schon bald der Häresie; da der letzte tschechischstämmige König von Böhmen (und Utraquist) Georg (Jiøí) von Podìbrad zudem auf eine Anerkennung durch die katholische Kirche hoffte, begann man ab 1461, die Brüder zu verfolgen. 1467 setzte die Unität ihre eigene Kirchenhierarchie ein: Drei Priester wurden gewählt und von einem waldensischen Bischof geweiht. Seit diesem Zeitpunkt existierte die Brüdergemeinde als eine eigene reformatorische Kirche, die 1491 Abgesandte bis nach Konstantinopel, in die Moskauer Rus', Palästina und Ägypten schickte -- auf der Suche nach gleichgesinnten Gemeinschaften, in denen noch 'der wahre Christenglaube' lebendig war.

 

[1] Vgl. L. M. WAGNER: Petr Chelèický. Scottdale 1983, S. 46-55.

[2] Zit. nach HOWARD KAMENSKY: Chiliasm and the Hussite Revolution. In: Church History 26 (1957), S. 43-71, hier S.51.

[3] Ebd., Zit. nach CARL VOGL: Peter Cheltschitzki. Ein Prophet an der Wende der Zeiten. Leipzig 1926, S.90.

[4] Vgl. JOSEF MACEK: Jean Hus et les traditions hussites. Paris 1973, S. 276f.

[5] VOGL: Peter Cheltschitzki, S. 124ff.

[6] PETR CHELÈICKÝ: Das Netz des Glaubens. Hg. v. Carl Vogl. Dachau 1924; Kap. I:14, S.40.

[7] Kozmas Presviter': Slovo. In: H. C. PUECH / ANDRÉ VAILLANT: Le traité contre les Bogomiles de Cosmas le pretre. Paris 1946, S.86.

[8] O trojím lidù; Zit. nach PETER BROCK: The Political and Social Doctrines of the Unity of Czech Brethren. s' Gravenhage 1957, S.46.

[9] Postilla II:74; Zit. nach ERHARD PESCHKE: Die Theologie der Böhmischen Brüder in ihrer Frühzeit. Stuttgart 1935, Bd. I, S.165.

[10] CHELÈICKÝ: Das Netz des Glaubens, S.28ff.

[11] Ebd., Kap. I:15, S.44.

[12] Ebd., Kap. I:35, S.78ff.

[13] Ebd., Kap. II:50-51, S.306-309.

[14] Zit. nach PESCHKE: Die Theologie, Bd. I, S. 141.
[15] Vgl. ebd. 159.

[16] VOGL: Peter Cheltschitzki, S. 175f.

[17] LEV N. TOLSTOJ: Das Reich des Glaubens ist in uns.

[18] Zit. nach BROCK: The Political and Social Doctrines, S. 25.

[19] Zur Brüderunität: R. RÍÈAN: Die Böhmischen Brüder. Berlin 1958. -- R. RíÈAN: Das Reich Gottes in den böhmischen Ländern. Geschichte des tschechischen Protestantismus. Stuttgart 1957. -- J.TH. MÜLLER: Geschichte der Böhmischen Brüder. 3 Bde. Herrenhut 1921-1931. -- V.-L. TAPIÉ: Une église tcheque au XVe siecle. L'Unité des Freres. Paris 1934. -- STANIS£AW KOT: Socinianism in Poland. The Social and Political Ideas of the Polish Antitrinitarians. Boston 1957.

 


 

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