Äußerungen Rudolf Steiners zur Weltlage und zur Verantwortlichkeit des Einzelnen |
Rudolf Steiner (Kraljevec/Kroatien, Österreich-Ungarn 1861-1925 Dornach, Schweiz) |
in: Inneres Wesen des Menschen und Leben zwischen Tod und neuer
Geburt
(GA 153)
»Es wird also heute für den Markt ohne Rücksicht auf den Konsum
produziert, (...) man stapelt in den Lagerhäusern und durch die
Geldmärkte alles zusammen, was produziert wird, und dann wartet
man, wieviel gekauft wird. Diese Tendenz wird immer größer werden,
bis sie sich (...) in sich selber vernichten wird. Es entsteht
[nämlich] dadurch, daß diese Art von Produktion im sozialen Leben
eintritt, im sozialen Zusammenhang der Menschen auf der Erde genau
dasselbe, was im Organismus entsteht, wenn so ein Karzinom entsteht.
Ganz genau dasselbe, eine Krebsbildung, eine Karzinombildung,
Kulturkrebs, Kulturkarzinom! So eine Krebsbildung schaut derjenige,
der das soziale Leben geistig durchblickt; er schaut, wie überall
furchtbare Anlagen zu sozialen Geschwürbildungen aufsprossen.
Das ist die große Kultursorge, die auftritt für den, der das Dasein
durchschaut.«
So mußte ich damals auf dasjenige hinweisen, in das der Weltkapitalismus
die Menschen in der nächsten Zeit hineintrieb. Wer das damals
sagte, wurde selbstverständlich für einen unpraktischen Idealisten,
für einen Utopisten, einen Ideologen verschrien, denn die Praktiker
sprachen damals ganz anders. Wie sprachen die Praktiker über die
allgemeine Weltlage? Die sprachen nicht von Krebskrankheit. Die
sprachen etwa so: (...) »Wir gehen friedlichen Zeiten entgegen,
denn die allgemeine Entspannung macht erfreuliche Fortschritte.«
(...) Und die allgemeine Entspannung machte solche Fortschritte,
daß das folgte, was wir alle so leidvoll erlebt haben.« Am 15. September (Berlin): »... daß solche Praktiker vom Frieden redeten - und die nächsten
Monate diesen Frieden so brachten, daß durch einige Jahre hindurch
die zivilisierten Völker sich damit beschäftigten, zehn bis zwölf
Millionen Menschen, gering gerechnet, totzuschlagen und dreimal
so viel zu Krüppeln zu machen. (...) [Wir haben nötig,] um zur
Wiedergesundung unserer sozialen Verhältnisse zu kommen, nicht
an kleine Umwandlungen von diesen oder jenen Einrichtungen zu
denken, sondern an ein großes Umlernen und Umdenken, nicht an
eine kleine Abrechnung, sondern an eine große Abrechnung mit dem
Alten, das morsch und faul ist und nicht mehr hineinmünden darf
in das, was für die Zukunft geschehen soll.«
in: Gedankenfreiheit und soziale Kräfte (GA 333)
»Ich war im April 1914 genötigt, in einer kleineren Versammlung
in Wien - und absichtlich in Wien, Sie wissen, die Weltkriegskatastrophe
ist von Österreich ausgegangen - mein Urteil über die soziale
Lage auszusprechen, damals nicht nur die soziale Lage des Proletariats,
sondern die soziale Frage von ganz Europa. Ich deutete darauf
hin, daß die soziale Lage in Europa zu einer Geschwürbildung hin
tendiert, und in der Tat ist ja daraus dann der Weltkrieg entstanden.
- Ich war genötigt, mein Urteil darüber etwa in die Worte zusammenzufassen
- im April 1914, halten Sie den Zeitpunkt fest - : Wer in unsere
sozialen Verhältnisse hineinschaut, wie sie sich allmählich herausgebildet
haben, der kann nur zu einer großen Kultursorge kommen, denn er
sieht, wie sich im sozialen Leben ein Karzinom entwickelt, eine
Art Krebskrankheit, die in der furchtbarsten Weise in der nächsten
Zeit zum Ausbruch kommen muß.
Dornach im Juni/Juli 1914, kurz vor Kriegsausbruch: »Wie oft konnte
man sehen, wie Dr. Steiner von einem zum anderen von uns ging
mit den einfachen Worten: »Es kommt doch zum Krieg ... es wird
furchtbar werden!« Es war, wie wenn er auf etwas warte, und dabei
konnte man ihn kaum anschauen. »Ja, Herr Doktor, es scheint zum
Krieg zu kommen.« Da ging er, wie enttäuscht, weg. »Nur vierzig
Menschen haben ihn gewollt«, sagte er, als der Krieg ausbrach,
»und zu wenige waren da, die ihn nicht wollten.« «
»[Es fehlt in der Gegenwart] ein gewisser Grundimpuls des Strebens
(...), und das ist der Grundimpuls nach der Wahrheit. Es besteht
der Trieb, die Wahrheit in Phrasen zu suchen. Man mag diese Phrasen
aufnehmen und sich meinetwillen noch so enthusiasmiert mit ihnen
durchdringen: mit diesem Triebe kann man niemals die Wahrheit
finden, sondern dafür muß man den Sinn für die Tatsachen haben,
gleichgültig ob diese Tatsachen auf dem physischen Plan oder in
der geistigen Welt zu suchen sind. (...) Man muß sich aber dieses
Gefühl für die Wahrheit im alltäglichen Leben aneignen, sonst
wird man es nicht hinauftragen können in das Begreifen der geistigen
Welten.« »Gegen diese Tatsache, daß die Leichtfertigkeit des Urteils von
der Wahrheit abbringt, gibt es nie die Entschuldigung, man habe
dies oder jenes nicht gewußt. Denn das, was wir in unseren Seelen
tragen als ein Urteil, ist eine Tatsache und wirkt in der Welt,
und ein jeder sollte sich bewußt sein, daß dasjenige, was er in
der Seele trägt, in der Welt wirkt.« »Aber bei jedem Urteil muß man ferner ins Auge fassen, ob die
Beurteilungsimpulse, ob die Perspektiven in der richtigen Weise
eingestellt sind. In dieser Beziehung kann man die allerschmerzlichsten
Erfahrungen machen, (...) wie wenig Neigung vorhanden ist in der
Welt, Urteile in der richtigen Weise perspektivisch einzustellen,
und wie wenig auch nur der Wille vorhanden ist, einen zu verstehen,
wenn man versucht, die Dinge so zu beurteilen, um für sein Urteil
die richtige perspektivische Einstellung zu gewinnen.« »Viel wichtiger als die subjektiven Sympathien und Antipathien,
viel wichtiger vor allen Dingen als dasjenige, was in so verheerender
Weise durch die Tagespresse pulsiert, ist das, was einzelne sich
um Objektivität bemühende Menschen über die Ereignisse der Gegenwart
denken.«
in: Zeitgeschichtliche Betrachtungen, 1. Teil (GA 173)
»Denken Sie doch: Was ist alles notwendig, um ein Urteil über
ein ganzes Volk abzugeben - und wieviel wird heute über ganze
Völker geurteilt! - Und nicht nur das, sondern man engagiert sich
gewissermaßen innerlich mit seinem Urteil, ohne daß man die allernotdürftigsten
Unterlagen, die zu einem solchen Urteil nötig sind, auch nur ahnt.
Nun kann man nicht von jedem verlangen, daß er die Unterlagen
kennt; wohl aber kann man von jedem verlangen, daß er seine Urteile
mit einer gewissen Reserve abgibt, daß er sie nicht als absolute
Urteile in die Welt hineinstellt. (...) Die große Sünde unserer
Kultur besteht heute darin, in inhaltslosen Sätzen zu leben, ohne
sich klarzumachen, wie inhaltslos diese Sätze sind.«
in: Zeitgeschichtliche Betrachtungen, 1. Teil (GA 173)
»Ob man als Geschichtsschreiber das Richtige darzustellen vermag
oder nicht, das hängt davon ab, ob einen das Karma dazu führt,
das Richtige kennenzulernen oder nicht. Darauf kommt es an. Das
Richtige (...) offenbart sich sehr häufig nur für denjenigen,
der den Blick an die richtigen Stellen zu wenden vermag. Ich könnte
auch anders sagen: Es offenbart sich für den, der durch sein Karma
dahin geführt wird, das Richtige im richtigen Augenblick zu sehen
da, wo sich an einer einzelnen Erscheinung etwas Bedeutsames ausspricht.
Denn oftmals drückt sich an einer einzelnen Erscheinung dasjenige
aus, was auf Jahrzehnte Licht wirft, und wie durch einen Blitzschlag
dasjenige beleuchtet, was wirklich geschieht.«
in: Zeitgeschichtliche Betrachtungen, 1. Teil (GA 173)
»[Der Mensch stößt] sehr leicht auf merkwürdige Widersprüche (...),
wenn er sich bemüht, die Wirklichkeit zu verstehen. Und wenn der
Mensch auf Widersprüche stößt, so sucht er über diese Widersprüche
so hinwegzukommen, daß er von zwei einander widersprechenden Dingen
das eine annimmt und das andere zurückstößt. Das aber heißt sehr
häufig, überhaupt die Wirklichkeit nicht verstehen zu wollen.«
in: Zeitgeschichtliche Betrachtungen, 1. Teil (GA 173)
»Sie werden aus den letzten Betrachtungen wohl gründlich ersehen
haben, daß auch im sozialen Zusammenleben der Menschheit Impulse
wirken, gute und schlechte, die geleitet werden von denjenigen,
die von der Leitung etwas verstehen, und die oftmals in merkwürdiger
Weise geleitet werden. (...) Wie nun im einzelnen, so auch im
sozialen Leben: Es können gewisse Impulse nach der einen oder
nach der andern Seite gelenkt und geleitet werden. Namentlich
im sozialen Leben ist heute noch vielfach möglich, das Unbewußte,
und jedes Zeitalter hat sein Unbewußtes, zu Hilfe zu nehmen. Und
sobald man mit dem Unbewußten oder Unterbewußten rechnet, dann
erzielt man ganz andere Wirkungen als mit dem heutigen Bewußtsein
(...).«
in: Zeitgeschichtliche Betrachtungen, 1. Teil (GA 173)
»Wahrheitssinn hat derjenige, der unablässig danach strebt, die
Wahrheit zu erforschen in einer Sache, der nicht nachläßt, die
Wahrheit zu erforschen, und der sich verantwortlich erklärt für
sich selber auch dann, wenn er irgend etwas aus Unwissenheit falsch
sagt. Denn für das Objektive ist das ebenso gleichgültig, ob man
etwas aus Wissenheit oder aus Unwissenheit falsch sagt, wie es
gleichgültig ist, ob man aus Unverstand oder aus irgendeinem Mutwillen
den Finger in die Flamme steckt; man verbrennt sich in beiden
Fällen.«
in: Zeitgeschichtliche Betrachtungen, 1. Teil (GA 173)
»... [D]as Nichtwalten der Wahrheit, das eigentümliche Walten
gerade des Gegenteiles der Wahrheit, die geringe Neigung, Wahrheit
zu suchen, die geringe Sehnsucht nach Wahrheit, mit alledem hängt
das Karma unserer Zeit zusammen. Und dieses muß man studieren.
(...) man glaube nicht, daß Gedanken, daß Behauptungen nicht objektive
Mächte sind! Sie sind objektive, reale Mächte! Und es ist ganz
unausbleiblich, daß sie ihre Wirkungen nach sich ziehen, auch
wenn sie sich nicht umsetzen in äußere Taten. Für die Zukunft
ist viel wichtiger, was die Menschen denken, als das, was sie
tun. Denn Gedanken werden im Laufe der Zeit Taten. Wir leben heute
von den Gedanken vergangener Zeiten; die erfüllen sich in den
Taten, die heute geschehen. Und unsere Gedanken, die die Welt
durchfluten, werden sich in den Taten der Zukunft entladen.«
in: Zeitgeschichtliche Betrachtungen, 2. Teil (GA 174)
»Wir müssen uns unablässig bemühen, Gedanken mit scharfen Konturen
von uns zu fordern, und uns nicht blind den Sympathien und Antipathien
hinzugeben, wenn wir für uns und andere etwas behaupten. (...)
Wir müssen uns klar bewußt sein, daß in der Gegenwart jeder Mensch,
der will, daß die Evolution der Erde in heilsamer Weise weitergeht,
gewissenhaft und ehrlich nach Gedankenobjektivität in der eben
geschilderten Weise suchen muß. (...) Gerade da, wo ein Höchstes
erstrebt wird, muß am schärfsten achtgegeben werden. Denn dies
muß einmal ins Auge gefaßt werden: In früheren Kulturepochen waren
andere Möglichkeiten des Abirrens da, in unserer Zeit ist das
Abirren in eine Unwahrhaftigkeit, die durch ein Nichtleben mit
der Wirklichkeit zustande kommt, die große Gefahr.«
in: Zeitgeschichtliche Betrachtungen, 2. Teil (GA 174)
»Ich habe schon darauf aufmerksam gemacht: Begriffe wie Recht
und Freiheit sind anwendbar auf die einzelnen menschlichen Individualitäten;
sie als Programmpunkte für Völker anzugeben, bedeutet von vornherein,
nichts zu wissen von den Eigentümlichkeiten des Volkstümlichen,
gar nicht den Willen zu haben, auf das Eigentümliche des Volksmäßigen
einzugehen. (...) Heute besteht, ich möchte sagen, ein welthistorischer
Trick darin, Dinge zu sagen, die einleuchtend sind, die auf viele
Menschen überzeugend wirken, aber eigentlich gar nichts besagen,
gar nicht die Grundlage für ein gültiges Urteil abgeben können.«
Die spirituellen Hintergründe der äußeren Welt (GA 177)
Ȇberall liegt heute die Notwendigkeit vor, zu ermahnen, ernst
zu ermahnen, nach Gründlichkeit zu suchen, zu suchen danach, wie
die Dinge zusammenhängen, zu suchen nach den Wirklichkeiten und
nicht nach dem äußeren Schein. (...) das Geständnis, daß man (...)
vielleicht erst sich die Grundlagen schaffen muß, um zu einem
Urteil zu kommen, das wird den heutigen Menschen so schwer. Ja,
es fällt ihnen kaum ein, daß es nötig ist, sich erst Grundlagen
zu einem Urteil zu schaffen. (...) Das Irrtümlichste, dem man
sich hingeben kann, das ist, wenn heute jemand sagen würde: Ach,
gleichgültig, woher der Friede kommt, wenn er auch von dem Papst
kommt! - Das Bedeutungsvolle ist, daß es ja unter Umständen natürlich
nicht schaden könnte, wenn ein Friede von dem Papst käme, selbstverständlich
nicht; aber es handelt sich darum, in welchem Sinne ihn diejenigen
auffassen, die mittun. Immer wieder muß man sich klar vor die
Seele stellen, wie diese unsere Zeit uns geradezu auffordert,
stündlich, minütlich auffordert: Werde wach!«
in: Die spirituellen Hintergründe der äußeren Welt (GA 177)
»[Die Menschen der Gegenwart] neigen mehr, als das zu anderen
Zeiten der Fall war, dazu, sich über gewisse wesentliche und wichtige
Dinge der Weltenordnung Illusionen hinzugeben, und zwar in einem
solchen Grade, daß diese Illusionen weltbeherrschende, völkerbeherrschende,
erdenbeherrschende Mächte werden. Das ist sehr wichtig, denn in
dem ganzen Chaos der Gegenwart walten - und deswegen ist es ja
ein Chaos - gerade Illusionen, illusionäre Vorstellungen.«
in: Die spirituellen Hintergründe der äußeren Welt (GA 177)
»... in das ganze soziale Zusammenleben der Menschen werden sich
immer mehr und mehr wegen der allgemeinen Kultur, wegen der Usancen,
wegen der Emotionen der Menschen zerstörende Kräfte mischen, Kräfte,
welche vor allen Dingen die Verhältnisse unter den Menschen selber
immer mehr zerstören werden. Streben soll der Mensch danach, das
Wort Christi zu realisieren: »Wo zwei in meinem Namen vereint
sind, bin ich mitten unter ihnen.« Aber die technische, die kommerzielle
Kultur macht nicht dieses zur Wahrheit, sondern das andere: Wo
zwei oder mehrere in meinem Namen sich zanken und streiten und
bekämpfen wollen, da bin ich mitten unter ihnen. - Und das wird
immer mehr in das soziale Menschenleben hineinkommen. Das führt
aber dazu, daß überhaupt die Schwierigkeit besteht, heute in die
Menschheit verbindende Wahrheiten hineinzuführen. (...) weil man
ja nicht anstrebt, sich zu entwickeln, weil man es nicht erträgt,
erst etwas zu werden, weil man nur etwas sein will. Das aber zerspaltet
die Menschen in Menschheitsatome. Ein jeder hat seinen Standpunkt.
Keiner kann mehr den anderen verstehen.«
in: Die spirituellen Hintergründe der äußeren Welt (GA 177)
»Dieses Chaos kommt eben davon, daß die Wirklichkeit eine andere
ist, eine reicher werdende ist, als das, was die Menschen erdenken
können, was die Menschen sich ausbilden können in ihren Köpfen.
Und man wird sich klarmachen müssen, daß man vor die Wahl gestellt
ist: Entweder, weil man die Welt nicht zu ordnen versteht, weiterzumachen
mit dem Zusammenhauen, mit dem gegenwärtigen Aufeinanderschießen,
oder zu beginnen mit dem Ausbilden solcher Begriffe, solcher Vorstellungen,
die den komplizierten Verhältnissen gewachsen sind. Es muß eine
geistige Strömung in der Menschheit geben, welche darauf ausgeht,
Begriffe auszubilden, die den realen Verhältnissen gewachsen sind.«
in: Die spirituellen Hintergründe der äußeren Welt (GA 177)
»Man kann über die Naturerscheinungen mit Hilfe der gewöhnlichen
Intellektualität nachdenken, aber man kann nicht über soziale
Erscheinungen mit Hilfe der gewöhnlichen Intellektualität nachdenken;
das kann man nicht. Heute glaubt der Mensch: Das Denken, das ihn
befähigt, über den äußeren Verlauf der Sinnenwelt nachzudenken,
das kann er auch anwenden, um soziale Gesetze, um politische Impulse
zu finden. Er tut es auch vorläufig, aber sie sind auch danach.
(...) Es wird das allerdings schwer zu verstehen sein, aber man
muß sich bekanntmachen damit, daß wirkliche, richtige Gedanken
für soziale Strukturen erst dann wiederum herauskommen, wenn die
Menschen an den Geist appellieren. (...) Sonst werden die Menschen
an politischen Grundsätzen, an sozialen Strukturen und Ideen bloß
Nichtiges zutage fördern. (...) Heute kann man noch über diese
Dinge lachen. Aber die Menschheit wird sich in Schmerzen und Leiden
das Bewußtsein von der Inspiration auf dem schöpferischen Gebiete
der sozialen Ordnung erringen müssen.«
Die spirituellen Hintergründe der äußeren Welt (GA 177)
»Es ist eigentlich bewundernswert im negativen Sinne, wie viele
Menschen gegenüber diesen furchtbaren Ereignissen der Gegenwart
noch immer schlafen, noch immer nicht dazu gekommen sind, sich
einmal zu überlegen, daß Ereignisse, die noch nie da waren in
der Weltenentwickelung der Menschen, auch fordern, daß man zu
neuen Begriffen kommt, die auch noch nie dagewesen sind.«
Die spirituellen Hintergründe der äußeren Welt (GA 177)
»Und so sehen wir, daß gerade im 19. Jahrhundert ein Pochen auf
Stammes- und Volks- und Rassenzusammenhänge beginnt, und daß man
von diesem Pochen als einem idealistischen spricht, während es
in Wahrheit der Anfang ist einer Niedergangserscheinung der Menschen,
der Menschheit. (...) Denn durch nichts wird sich die Menschheit
mehr in den Niedergang hineinbringen, als wenn sich die Rassen-,
Volks- und Blutsideale fortpflanzen. (...) Die Ereignisse der
Gegenwart, sie wurden von den eingeweihten Geistern aller Nationen
vorausgesehen. Sie wurden vorausgesehen und vorausgesagt, und
hingewiesen wurde darauf, wie aus dem Blute der Menschen emporsprudeln
wird reaktionärste Gesinnung, weil der Glaube herrschen wird,
daß diese reaktionärste Gesinnung gerade das Idealste ist. (...)
Fühlen muß man, wo das Leben aufsteigt, wo das Leben absteigt.«
»Viele Menschen denken heute noch in ganz derselben Weise, wie
sie im Jahre 1913 [1994] gedacht haben. Der Verstand, den sie
dazumal angewendet haben, von dem denken sie, daß er ausreichen
wird auch für das Jahr 1917 [1998], ohne so viel Wirklichkeitssinn
zu haben, daß dieser Verstand innig zusammenhängt damit, daß er
das Jahr 1917 [1998] hervorgebracht hat, und daß er es nicht zugleich
heilen kann.«
in: Die spirituellen Hintergründe der äußeren Welt (GA 177)
»Diese drei Jahre, sie sind wie eine Aufforderung zum Wachsamwerden,
wenn auch noch nicht eine annähernd genügend große Anzahl von
Seelen in der Lage ist, den Ruf in der rechten Weise zu vernehmen.
(...) Man wird dahin kommen müssen, einzusehen, daß die Gegenwart
die Unzulänglichkeit, ja die Unmöglichkeit der Vorstellungen beweist,
in die sich die Menschheit eingelebt hat, und daß es eine weltgeschichtliche
Ungehörigkeit ist, wenn immer wieder die Menschen aus dem heraus
urteilen, was ja die heutige Zeit heraufgeführt hat, und was ja
widerlegt ist dadurch, daß diese Zeit eben gekommen ist. Glaubt
man, daß man diese Zeit korrigieren wird mit denselben Grundsätzen,
die sie herbeigeführt haben? Darin wird man wahrhaftig sich täuschen.«
in: Die spirituellen Hintergründe der äußeren Welt (GA 177)
»Heute fehlt den Menschen selbst in bezug auf das Primitivste
des Umlebens und des Miterlebens der Wirklichkeitssinn. Die Menschen
(...) sind vollgepfropft von bloßen Theorien, schlafen in lauter
Theorien und sind sich dessen nicht bewußt, daß sie in Theorien
schlafen. Wenn einmal einer aufwacht - es ist nicht Zufälligkeit,
aber man könnte in populärer Redewendung sagen: Wenn einer einmal
zufällig aufwacht und etwas wach sagt, wird er einfach unberücksichtigt
bleiben. So geht das eben heute. (...) Man nimmt Begriffe für
Wirklichkeiten. Dadurch ist es aber möglich, daß die Illusion
sich an die Stelle der Wirklichkeit setzt, wenn es sich ums Menschenleben
handelt: indem man die Menschen einlullt und einschläfert durch
Begriffe. (...) Und wenn einmal einer aufwacht, so wird er eben
nicht berücksichtigt.«
in: Individuelle Geistwesen und ihr Wirken in der Seele des Menschen
(GA 178)
»... zwar wird die Menschheit heute von allen Angelegenheiten
durch (...) die Presse unterrichtet; aber sie wird durch die Presse
so unterrichtet, daß ihr gerade das Wesentliche, das Wahre, das
Reale, dasjenige, worauf es ankommt, verhüllt wird. Und bis zu
diesem Grade der Wirklichkeitserkenntnis muß der Mensch schon
kommen. (...) Die Dinge können nicht anders sein, aber ein Bewußtsein
müssen die Menschen davon haben. Das ist ja gerade der große Irrtum,
daß man glaubt, man müsse die Dinge kritisieren, während man sie
charakterisieren muß. Das ist es, worauf es ankommt.«
in: Der Tod als Lebenswandlung (GA 182)
»Heute, wo die faule Menschheit so oftmals sagt, wenn sie irgendwo
etwas liest: Das habe ich dort und dort auch gelesen -, wo sie
nur auf den Inhalt geht, heute ist die Zeit, wo die Menschheit
lernen muß, daß es gar nicht mehr so sehr auf den Inhalt ankommt,
sondern darauf ankommt, wer etwas sagt; daß man kennen muß den
Menschen aus dem, was er sagt, weil die Worte nur Gebärden sind
und man kennen muß, wer diese Gebärden macht. Das ist dasjenige,
in das sich die Menschheit hineinleben muß. Hier liegt ein furchtbar
großes Mysterium des allergewöhnlichsten Lebens vor, meine lieben
Freunde. Es ist eben ein Unterschied, ob im persönlichen Ich erkämpft
wird Satz für Satz, oder aber, ob es von unten oder von oben oder
von seitwärts her in irgendeiner Weise (...) eingeben ist.«
»Die meisten Menschen, die Ihnen jetzt entgegentreten, (...) werden
nicht älter als kaum 27 Jahre; dann trotten sie fort mit dem,
was sie gelernt haben und so weiter. (...) Weiter studieren heute,
nicht wahr, fortlernen, ein verwandlungsfähiger Mensch bleiben,
das findet man außerordentlich selten. (...) Nun möchte ich aber
wissen, (...) wie viele Menschen das Notwendige ergreifen wollen,
was für die Zukunft der Erdenmenschheit dastehen wird: das immerwährende
Lernen, das immerwährende In-Bewegung-Bleiben. Und das wird nicht
zu erreichen sein ohne das eben geschilderte Interesse von Mensch
zu Mensch. Liebevoll hinblicken können auf die Menschen, sich
interessieren für die Eigenart der Menschen, das ist dasjenige,
was die Menschheit ergreifen muß.«
in: Geschichtliche Symptomatologie (GA 185)
»Dasjenige, was der Menschheit einzig und allein Heil bringen
kann gegen die Zukunft hin - ich meine der Menschheit, also dem
sozialen Zusammenleben - muß sein ein ehrliches Interesse des
einen Menschen an dem anderen. Das, was [unserem] Zeitalter besonders
eigen ist, ist Absonderung des einen Menschen vom andern. Das
bedingt ja die Individualität, das bedingt die Persönlichkeit,
daß sich auch innerlich ein Mensch von dem andern absondert. Aber
diese Absonderung muß einen Gegenpol haben, und dieser Gegenpol
muß in dem Heranzüchten eines regen Interesses von Mensch zu Mensch
bestehen. (...) Die meisten Menschen der Gegenwart (...) stehen
von Mensch zu Mensch so, daß sie, wenn sie an dem anderen Menschen
etwas bemerken, das ihnen nur nicht paßt - ich will gar nicht
sagen, das sie tiefer betrachten, sondern das ihnen von oben her
betrachtet, ganz äußerlich betrachtet, nicht paßt -, so fangen
sie an abzuurteilen, aber ohne Interesse dafür zu entwickeln,
abzuurteilen. Es ist im höchsten Grade antisozial - vielleicht
klingt es paradox, aber richtig ist es doch - für die zukünftige
Menschheitsentwickelung, solche Eigenschaften an sich zu haben,
in unmittelbarer Sympathie oder Antipathie an den anderen Menschen
heranzugehen. Dagegen wird es die schönste, bedeutendste soziale
Eigenschaft für die Zukunftsentwickelung sein, wenn man gerade
ein naturwissenschaftliches, objektives Interesse für Fehler anderer
Menschen entwickelt, wenn einen die Fehler anderer Menschen viel
mehr interessieren, als daß man sie versucht zu kritisieren. Denn
nach und nach (...), da wird sich der eine Mensch ganz besonders
immer mehr und mehr mit den Fehlern des anderen Menschen liebevoll
zu befassen haben.«
in: Aufsätze über die Dreigliederung des sozialen Organismus und
zur Zeitlage
(GA 24)
»Eine Grundbedingung der Gesundung [des öffentlichen Lebens ist]
die Auflösung der Parteigruppierungen und die Hebung des Verständnisses
für Ideenbildungen, die aus der praktischen Einsicht selbst herauswachsen
ohne allen Zusammenhang mit Partei- oder Gruppenmeinungen von
ehemals. Es ist eine brennende Frage der Gegenwart, daß Mittel
und Wege gefunden werden, an die Stelle der Parteimeinungen diese
unabhängigen Ideenbildungen zusetzen, die Kristallisationskerne
abgeben können für den Zusammenschluß von Menschen von allen Parteiseiten
her. Von solchen Menschen, die in der Lage sind, zu erkennen,
daß die bestehenden Parteien sich überlebt haben, und daß die
sozialen Zustände der Gegenwart ein vollgültiger Beweis für diese
Überlebtheit sind.«
Gerade solchen Dingen gegenüber sollte der Mensch der Gegenwart
nachdenklich werden. Er sollte sich vor die geistigen Augen führen
können, daß es in der Tat notwendig ist, tiefer in das Menschengetriebe
hineinzuschauen, um so etwas wie die soziale Frage anders zu begreifen,
als es gewöhnlich geschieht. Es ist ja handgreiflich, wie die
Gedanken gegenüber den rollenden Tatsachen zu kurz geworden sind.
Aber die Menschen wollen solche Dinge nicht sehen.«
in: Gedankenfreiheit und soziale Kräfte (GA 333)
»Das Merkwürdige erlebte man, daß diejenigen, welche innerhalb
der Tatsachenwelt die Macht hatten zu handeln, zu wirken, sich
dazu gebracht hatten, die Tatsachen wie von selbst sich ablaufen
zu lassen. Die Gedanken, die Ideen waren zu kurzmaschig geworden,
um noch die Tatsachen in sich einbeziehen zu können. Die Tatsachen
des Lebens waren den Menschen über den Kopf gewachsen. Dies zeigte
sich ganz besonders schon durch lange Zeiten hindurch im Wirtschaftsleben,
wo der Wettstreit auf dem sogenannten »freien Wirtschaftsmarkt«
als einzigen Antrieb in der Regelung der Wirtschaft »Profit« und
ähnliches zurückgelassen hatte, wo nicht die Ideen wirkten, die
das Wirtschaftsleben einzig und allein nach den Fragen der Gütererzeugung,
des Güterumlaufs und des Güterverbrauchs gestalteten, sondern
dasjenige, was aus dem Zufall des freien Marktes fortwährend in
Krisen hineinführen konnte. (...)
»Mit der äußeren Naturwissenschaft begreifen wir nur das Tote,
und wenden wir diese Naturwissenschaft des Toten auf das an, was
im sozialen Leben oder im geschichtlichen Leben enthalten ist,
so begreifen wir auch dort nur das Sterbende. Deshalb sind die
neuen sozialen Theorien, die sich nun auch über die Wirklichkeit
hermachen, nachdem sie bisher bloß Kritiken des Bestehenden gewesen
sind, so ertötend für das wirkliche Leben, weil sie dem Toten
nachgebildet sind.«
in: Gedankenfreiheit und soziale Kräfte (GA 333)
»Wer heute unser Geistes- und Seelenleben wirklich verfolgt, der
wird sich sagen müssen: Vieles, unendlich vieles in diesem Geistes-
und Seelenleben ist nichts mehr als Phrase, hat seinen Inhalt
verloren. (...) Der Mensch empfindet das heute noch nicht in genügendem
Maße, und das ist das Unglück unserer Zeit. Denn aus der Phrase
heraus werden zwar Parteiprogramme, aus der Phrase heraus werden
auch Weltanschauungen phrasenhafter Art geboren, aus der Phrase
heraus werden aber niemals fruchtbare Taten und Ideen für die
wirkliche Weiterentwickelung der Menschheit entstehen. Man kann
mit Phrasen agitieren, man kann aber mit Phrasen nichts schaffen.«
(...) dieses 20. Jahrhundert [hatte] die Probe zu liefern, daß
auch ein Mensch da sein kann, der angestaunt wird von einer großen
Menge als ein Weltenlenker, der aber überhaupt in seinen Worten
gar keinen Begriff mehr hat, wie Woodrow Wilson, der nur Worte
sagt, die keine Begriffe mehr enthalten. Deshalb mußte man sich
anlehnen an irgend etwas, was ganz geistlos ist, die Blutsverwandtschaft,
die blutsverwandten Eigenschaften der Nationen, woraus dann nichts
anderes geworden ist, als daß Friedensschlüsse zustande gekommen
sind (...), in denen Leute Landkarten über die Gestaltung der
modernen zivilisierten Welt bestimmt haben, die überhaupt nicht
das geringste von den Lebensverhältnissen dieser modernen Welt
kennen. (...) Das ist selbstverständlich eine Wahrheit, die heute
vielen Menschen unangenehm ist. Und das macht es wiederum, daß
so viel Lüge auf dem Grunde der Seele sich ablagern muß.« »Das muß die normale Entwickelung der Zukunft sein, daß der Mensch
sich sagt: Ich sehe das Menschenwesen als etwas an, was eigentlich
durch sein inneres Wesen hinauswächst über das, was ich als Erdenmensch
werden kann. Ich muß mich als Erdenmensch gewissermaßen als Zwerg
fühlen gegenüber dem, was der eigentliche Mensch ist. Und aus
dem Unbefriedigten, das richtig erzogene Kinder schon in der allernächsten
Zeit haben werden, wird eben gerade dieses Gefühl herauswachsen.
(...) All das, was sich unter den Wilsonschen Dummheitsformeln
und unter dem, was sonst als Chauvinismus durch die Welt geht,
entwickeln wird, das werden ja lauter Unmöglichkeiten sein. Die
moderne Zivilisation geht durch all diese Dinge lauter Unmöglichkeiten
entgegen. Richten Sie noch mehr nationale Reiche auf innerhalb
der modernen Zivilisation, so liefern Sie noch mehr Zerstörungskeime
(...). Aus all dem, was die moderne Bildung, diese heute so vielgepriesene,
angebetete Bildung dem Menschen geben kann, wird herauswachsen,
daß er sich auf der einen Seite als Erdenmensch fühlt, und auf
der anderen Seite, daß er sich sagt: Aber der Mensch ist mehr
als ein Erdenwesen. (...) Er wird verlangen wie mit ausgestreckten
Armen nach einer Enträtselung seines kosmischen Wesens.«
in: Die neue Geistigkeit und das Christus-Erlebnis des 20.Jahrhunderts
(GA 200)
»Die große Krise im zweiten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts trat
ein, als alle diejenigen Nichtswisser von den Menschheitsverhältnissen,
die nun die Führung der verschiedenen Nationen und so weiter angeblich
in der Hand hatten, die wenigstens an den Plätzen standen, auf
denen man glaubte, die Führung der Menschheit in der Hand zu haben,
als alle diese von einer Gliederung der Menschheit nach dem Willen
der einzelnen Nationen sprachen. Im allerschlimmsten Sinne wurde
nationaler Chauvinismus gerade in der neuesten Zeit wachgerufen.
Und nationaler Chauvinismus klingt heute durch die ganze zivilisierte
Welt. Das ist nur das soziale Gegenbild für jene urreaktionäre
Weltanschauung, welche alles auf die vererbten Eigenschaften zurückführen
will. Wenn man nicht mehr danach strebt, sein Wesen als Mensch
zu ergründen und die soziale Struktur so zu gestalten, daß dieses
Wesen als Mensch zurechtkommt, sondern wenn man nur danach strebt,
sie soziale Struktur so herbeizuführen, daß sie dem entspricht,
was man als Tscheche, als Slowake, als Magyar, als Franzose, als
Engländer, als Pole und so weiter ist, dann vergißt man alle Geistigkeit.
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