Mabel Collins

 

(1851-1927)

aus

 

Licht auf dem Pfad

 


 

Ertöte den Ehrgeiz.

Anmerkung: Ehrgeiz ist der erste Fluch, der große Versucher des Menschen, der über seine Mitmenschen hinauswächst. Er ist die einfachste Form, Belohnung zu suchen. Fortwährend werden Menschen von Intelligenz und Kraft durch ihn von ihren höheren Möglichkeiten abgelenkt. Doch ist er ein notwendiger Lehrmeister. Seine Erfolge werden beim Genusse zu Staub und Asche; wie Tod und Entfremdung zeigt er schließlich dem Menschen, daß für sich selbst zu arbeiten auf Enttäuschung hinarbeiten heißt.

Aber obgleich diese Regel so einfach und leicht erscheint, gehe nicht schnell an ihr vorüber. Denn die Laster des gewöhnlichen Menschen machen eine feine Umwandlung durch und erscheinen in veränderter Gestalt im Herzen des Jüngers wieder. Es ist leicht zu sagen: »Ich will nicht ehrgeizig sein«, aber es ist nicht so leicht zu sagen: »Wenn der Meister in meinem Herzen liest, wird er es vollkommen rein finden.«

Der echte Künstler, der nur aus Liebe zu seinem Werke schafft, steht manchmal fester auf der rechten Bahn, als der Okkultist, welcher wähnt, er habe seine Interessen vom eigenen Ich abgewendet, der aber in Wirklichkeit nur die Grenzen der Erfahrung und des Begehrens ausgedehnt und sein Interesse auf Dinge übertragen hat, die seiner größeren Lebensauffassung entsprechen.

 

(Über die Selbstgerechtigkeit)

Und ehe du Wissen erlangen kannst, mußt du durch alle Stätten gegangen sein, durch unreine sowohl wie durch reine. Darum bedenke, daß das befleckte Gewand, vor dessen Berührung du zurückschreckst, gestern vielleicht das deine gewesen ist, morgen deines werden kann. Und wenn du dich mit Grauen von ihm wendest, wird es, wenn es auf deine Schultern geworfen wird, nur umso fester an dir haften. Der Selbstgerechte bereitet sich selbst sein Bett aus Schlamm.

 


Mabel Collins: Licht auf dem Pfad (1903)


 

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