|
SONNENKREUZ UND LEBENSBAUM
Irland, der Schwarzmeer-Raum und die
|
Erhältlich in jeder guten Buchhandlung
Geschichte des 9. Jahrhunderts
als Spiegel von Konflikten
und Entwicklungsmöglichkeiten
unserer eigenen Gegenwart
368 Seiten, mit 10 Karten und 50 Abbildungen
auf Tafeln, gebunden mit Schutzumschlag
DM 78,- / öS 569,- / sFr 73,-
ISBN 3-8251-7031-4
http://www.urachhaus.com
oder über das Internet !!!
II / Die Kelten als Erzieher der Germanen Kelten als Mysteriengesandte; Kelten als Missionare; Erziehung
des Ich III / Der Untergang der irokeltischen Germanenmission Die Vernichtung der Mysterien; Arianer und Athanasianer; Der Arianismus
und die Germanenvölker; Bonifatius als Gesandter Roms; Die Romanisierung
der Franken; Tassilo III. und Virgil von Salzburg; Die gefällte
Irminsûl IV / Ein West-Ost-Konflikt im 9. Jahrhundert: Die Franken, Rom
und Byzanz · Die Franken und das Filioque; Papst Nicolaus I. und sein Berater
Anastasius; Patriarch Photios von Konstantinopel V / Die Slavenmission Salzburg und die Karantanen; Das Mährische Reich; Die Glagolica;
Die »rus'ischen« Buchstaben VI / Pontische Mysterien Die Völkerwiege; Das Goldene Vlies; Die tönende Licht-Sprache;
Die Krone der Herrlichkeit und der Baum des Lebens; Demetrios
und die Rus'ische Erde; Europas Mitte als Begegnungsraum VII / Die Slavenlehrer Kyrill und Method Konstantin als Sprachschöpfer; Die Bulgaren-Mission; Verteidigung
der slavischen Schriftsprache; Konstantin und Method in Rom VIII / Zwischen West und Ost Der Tod Konstantin-Kyrills; Das Konzil von 869; Method als Erzbischof
von Pannonien; Die Verschwörung der »Camorra«; Das »Filioque«;
Die Vertreibung Epilog: Von jenseits der Jahrhunderte
I / Geist und Wesen des Keltentums Druiden und Kelten; Entwicklung durch Verwandlungskraft; Das
irokeltische Christentum; Peregrinatio
Markus Osterrieder, geboren 1961 in München. Studium der Neueren
und Osteuropäischen Geschichte, Slavistik, Politischen Wissenschaft
und Volkswirtschaft in München, Toulouse und Warschau. Markus
Osterrieder arbeitet zur Zeit als Historiker in München.
Durch die Begegnung dieser zwei christlichen Ströme, die wie Verkörperungen
einer uralten Menschheitspolarität wirkten, wurde damals keimhaft
ein drittes, neues Element veranlagt: die Mitte als Geisteskind
von Orient und Okzident, die diese beiden Weltsphären versöhnt,
in sich vereint und erhöht. In ihr sollte die freie Individualität
des Menschen eine besondere Entfaltungsmöglichkeit finden. Der
Autor zeichnet anhand der Quellen ein fesselndes und beeindruckendes
Panorama der Geistes- und Bewußtseinsgeschichte, das sich von
Irland bis nach Rußland, von den Pyrenäen bis in den Kaukasus
erstreckt und das in seiner Fülle und Vielschichtigkeit immer
wieder veranschaulicht: Religionen und Kulturen sind lediglich
Gestaltungsformen der einen sich entwickelnden Menschheit. Doch Markus Osterrieder zeigt auch, wie erbittert diese beiden
Geistesströme bereits im 9. Jahrhundert von den damaligen »Großmächten«
verfolgt und unterdrückt wurden, wie ein Kampf gegen die Entfaltung
der geistigen Individualität, gegen das erwachende menschliche
Ich-Bewußtsein begann, der bis in die Gegenwart fortdauert. Dieser
Kampf hatte verheerende Auswirkungen nicht nur auf die allgemeine
Entwicklung in den christlichen Kulturräumen, sondern insbesondere
auch auf das nachbarschaftliche Verhältnis zwischen Deutschen
und Slaven. Denn er steht hinter jenem tiefsitzenden und spaltenden
»Nicht-verstehen-Können«, das in die »Urkatastrophe« des 20. Jahrhunderts
führte - in den Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Jene Mächte, die diesen Kampf auch heute noch fortsetzen, wollen
die Polarität zwischen Ost und West als dauerhaften, kulturell-religiösen
und geopolitischen Faktor der Spaltung vertiefen. So kann das
9. Jahrhundert als Spiegel von weltpolitischen Konflikten unser
eigenen Gegenwart erlebt werden.
Nach dem Fall des »Eisernen Vorhangs« stellt sich heute drängender
denn je die Frage, auf welchen geistigen Grundlagen eine fruchtbare
Begegnung der Menschen aus dem östlichen und westlichen Europa
erfolgen kann. Wird Europa und damit auch die übrige Welt einer
fundamentalistischen Versuchung erliegen, die erneut spalten will,
die die religiöse und kulturelle Mannigfaltigkeit als trennenden
Abgrund und als »Kampflinien der Zukunft« (so der amerikanische
Politologe Samuel Huntington) festzuschreiben versucht, indem
sie z. B. die historische Bruchlinie zwischem »westlichem« Abendland
und »östlicher« Orthodoxie in Bosnien und in der Ukraine hervorhebt?
Markus Osterrieder legt dar, daß schon vor Jahrhunderten in Europa
die Voraussetzungen für eine Begegnung im Sinne einer höheren
Humanität geschaffen wurden, als im 9. Jahrhundert im Wiener Becken
ein okzidentalischer, irokeltischer und ein orientalischer, griechisch-persischer
Geistesimpuls aufeinandertrafen. Das Christentum, das die Iren
den Germanen brachten, und das Christentum, das durch die beiden
Brüder Kyrill und Method zu den Slaven gelangte, sollten einander
ergänzend und wechselseitig befruchtend zusammenwirken, um Europa
seine tieferen geistigen Grundlagen zu schenken.
Joachim von Königslöw, Die Drei
»... ein außergewöhnliches Stück Geschichtsbetrachtung ..., weil
hier eine herrliche Fülle von geschichtlichem Material belebt
wird, mit Liebe und Verständnis.« Neues Volksblatt, Linz
» eine bemerkenswerte Leistung Die Bedeutung des Buches liegt
darin, eine historisch fundierte Schilderung der vielschichtigen
Konflikte aus geisteswissenschaftlicher Sicht zu geben. Trotz
der strengen wissenschaftlichen Forschungsarbeit ist es ein spannendes
und gut zu lesendes Buch mit einem Reichtum farbiger Schilderungen
der Geisteskämpfe, der Gralssuche und dem Ringen um den wahren
christlichen Glauben.« Sibylle Alexander, Das Goetheanum
»Das Ringen um den Menschen, das in der Vergangenheit stattgefunden
hat, muß man kennen, um die Entwicklungen, die sich heute in ähnlicher
Weise vollziehen, beurteilen zu können. Dieses kenntnisreich geschriebene
Buch bietet dafür eine Fülle von Material. Es regt zum eigenen
Nachdenken und Weiterforschen an.« Claus Rasmus, Stil - Bilden und Bauen
»[Der Verfasser] schöpft aus einer fast unglaublichen Fülle von
Quellen. Das Buch ist so anschaulich, leicht lesbar und spannend
geschrieben, daß ich es kaum aus der Hand legen konnte. Der mir
vorher ferne slawische Raum und seine Geschichte sind mir jetzt
viel vertrauter. Klar geworden ist mir die Verantwortung, die
alle europäischen Völker und Menschen haben für die neueren Geschehnisse
in Osteuropa und dafür, daß ganz Europa, vom Atlantik bis zum
Ural, wieder zu einem dierenzierten Ganzen zusammenfindet.« Philip Jacobson, Mitteilungen (CH)
Pressestimmen
»... ein großer Wurf und ein hochaktuelles Buch! Man möchte ihm
nicht nur Käufer, sondern vor allem Leser wünschen! Denn es ist
nicht nur mit dem Kopf, sondern vor allem auch mit warmem Herzen
geschrieben und reiht sich damit ein in eine der besten Traditionen
deutsch-mitteleuropäischer Kultur: Vermittler, ja Anwalt für ein
Verständnis der anderen zu sein!«
Aus dem Vorwort
Jedesmal, wenn ich vor dem Stacheldraht des »Eisernen Vorhangs«
stand und dabei einen Blick auf die Landkarte warf, schien es
mir, als ob sich hinter der Zweiteilung des Kontinents auch die
historische Rätselfrage verbarg: Warum glichen die kulturellen
und politischen Grenzen von Europa in den Jahren 1945-1989 so
sehr jenen zur Zeit Karls des Großen? Die Vermutung, es müsse
zwischen beiden Epochen irgendein Zusammenhang bestehen, ließ
mich nicht mehr los. Man konnte damals - die Perestrojka befand
sich gerade in ihren Anfängen - noch nicht voraussehen, mit welch
unerhörter Geschwindigkeit sich wenig später die Verhältnisse
im mittleren und östlichen Europa verändern sollten. Und zwar
in einer Weise, die immer deutlicher machte, daß vieles von dem,
was man als Augenzeuge selbst miterleben konnte, ursächlich-schicksalhaft
mit Geschehnissen aus dem 9. Jahrhundert verknüpft war. Es ist in diesem Zusammenhang keineswegs Zufall, daß seit 1990
versucht wird, im Bewußtsein der breiten Öffentlichkeit die suggestive
Vorstellung zu verankern, der Ost-West-Konflikt der Ideologien
werde in den kommenden Jahrzehnten unausweichlich durch eine Konfrontation
der Kulturräume »Euro-Amerika«, »Euro-Asien«, »Islamistan« und
»Konfuziania« abgelöst. So hieß es erstmals im September 1990
in der britischen Wochenzeitschrift The Economist: »Dieses Euro-Amerika [einschließlich Finnen, Balten, Polen, Ungarn,
Kroaten] ist von seinem nächsten Nachbar Euro-Asien, dem Raum
von Leningrad und Belgrad bis Kamcatka und Vladivostok, durch
eine schmale, aber häufig aufgewühlte Wasserfläche getrennt. (...)
die Trennung [der beiden] trat vor ungefähr 500 Jahren ein. Südlich
der beiden, jenseits eines etwas weiteren Meeres, liegt der muslimische
Kontinent.« Diesem Konzept zufolge gehört die Europäische Union
dem imaginären Kontinent Euro-Amerika an: »Auf der europäischen
Seite wird die Akzeptanz vonnöten sein, daß das neue Gebilde,
welches Europa zu schaffen versucht - sei es letzten Endes in
Form einer Föderation, Konföderation oder weniger -, Teil eines
anderen, größeren, loseren Gebildes sein wird, welches Nordamerika
mit einschließt.« Im Sommer 1993 publizierte der renommierte amerikanische Politikwissenschaftler
Samuel Huntington in der »meinungsbildenden« Zeitschrift Foreign
Affairs einen vielbeachteten und heftig umstrittenen Aufsatz unter
dem Titel The Clash of Civilizations? (»Der Konflikt/Zusammenprall/Unvereinbarkeit
der Kulturen«), in dem er die Thesen aus The Economist »wissenschaftlich« zu untermauern suchte, als politikwissenschaftliches
»Paradigma« und Leitfaden für zukünftiges politisches Handeln.
Dabei vertrat er die Auffassung: »Der Samtene Vorhang der Kulturen
hat den Eisernen Vorhang der Ideologien als bedeutendste Trennlinie
(dividing line) in Europa abgelöst. Wie die Ereignisse in Jugoslavien zeigen,
ist sie nicht nur eine Linie der Verschiedenheit, sondern beizeiten
auch eine Linie blutigen Konflikts.« Die historische »Bruchlinie«
zwischen »westlichem« Abendland und »östlicher« Orthodoxie verläuft,
wie Huntington richtig feststellt, durch Bosnien, die Vojvodina,
Siebenbürgen, die Ukraine und Weißrußland. Doch Huntington sieht in dieser Bruchlinie ein unabänderliches
»Naturgesetz«, weshalb er axiomatisch behauptet: »Das am stärksten
Trennende in der Menschheit und die Hauptquelle von Konflikten
wird die Kultur sein. Nationalstaaten werden die wichtigsten weltpolitischen
Akteure bleiben, aber die grundlegenden Konflikte globaler Politik
werden zwischen Nationen und Gruppen verschiedener Zivilisationen
auftreten. Der Zusammenprall der Zivilisationen wird die globale
Politik beherrschen. Die Bruchlinien zwischen Zivilisationen werden
die Kampflinien der Zukunft sein.« Huntington gelangt zu seinen
Schlußfolgerungen, weil er von der Annahme ausgeht, daß ein Bewohner
eines bestimmten Landstrichs seine persönliche Identität auf der
höchstmöglichen Stufe mit der Zivilisation, Kultur oder Religion
identifizieren kann, der er infolge seiner Geburt angehört. Eine
Identität erwähnt Huntington (bewußt?) nicht: das Menschsein.
Von seinem Weltbild ausgehend, das den Menschen ausschließlich
als Produkt des Vererbungsstromes und der Umwelteinflüsse definiert,
nimmt er diese Identität nicht wahr, und so stellt er erst gar
nicht die Frage: Was bin ich als Mensch? Was macht mich erst zu
einem Menschen, zu einem Angehörigen der Menschheit? Er erwidert
lediglich: »Wenn nicht Zivilisationen, was dann?« Huntingtons Thesen wurden von Fundamentalisten aller Lager dankbar
begrüßt, bot er ihnen doch eine pseudowissenschaftliche Rechtfertigung
ihres spaltenden, zerstörerischen Tuns. Insofern formulierte er
eine typische self-fulfilling prophecy, eine Prophezeiung, die gezielt und konzentriert (und zwar nicht
nur in Gedanken) auf ihre eigene Verwirklichung hinarbeitet. Dahinter
steckt die altbekannte, oft praktizierte Methode, die mit Hilfe
der Polarisierung von Gegensätzen »Ordnung« zu schaffen glaubt.
Die »ethnischen Säuberungen« in Bosnien und anderswo auf der Welt
stellen die logische Konsequenz dar, die sich aus derartigen Gedanken
ergibt. Auch in Rußland fanden sich jene bestätigt, die im Zuge ihrer
ungestillten Machtträume eine Erneuerung des alten Imperiums (auch
ohne Kommunismus) fordern und die Unvereinbarkeit von »atlantisch-westlicher«
und »eurasisch-rußländischer« (nicht russischer!) Welt postulieren.
In diesem Sinne wurde 1993 eine »neue« Militärdoktrin erlassen,
in der die rußländische Regierung eine Hegemonie über das »Nahe
Ausland« (die GUS-Staaten) einforderte, da die Rußländische Föderation
»die aktive und vollberechtigte Teilnahme als Großmacht an der
Gestaltung der (...) Weltordnung« beansprucht. Um das neue imperiale
Denken zu rechtfertigen, warnte Ende 1994 der liberale Kommentator
Michail Leont'ev den Westen, daß »der erste Abschnitt der Umwandlung
Rußlands - die Verwestlichung - vorbei« sei; im nun folgenden
»patriotischen Abschnitt der Reform« wäre es für rußländische
Staatsmänner politischer Selbstmord, weiter auf »Westler« zu hören,
denn in diesem Fall könnten die »schlimmstmöglichen Kräfte«, die
Fundamentalisten, die Macht ergreifen. Aus der Sicht vieler westlicher Akteure wiederum scheint der »neue«
Imperialismus des »eurasischen« Ostens voraussehbar und quasi
unabwendbar. Der US-Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski orakelte
im März 1994: »Unglücklicherweise deuten vielerlei Anzeichen darauf
hin, daß die Aussichten für eine stabile russische Demokratie
in naher Zukunft nicht sehr vielversprechend sind. (...) der imperiale
Impuls bleibt stark und scheint sogar noch stärker zu werden.«
Angesichts der Zerfallserscheinungen im westlichen Bündnis wird
so manche Stimme laut, die ein Wiedererstarken des »Erbfeindes«
sogar begrüßen würde. »Innerhalb des nächsten Jahrzehnts wird
der russische Bär stark und hungrig und wird wieder knurren, darum
müssen wir die westliche Allianz stärken, um einen Test durch
Krieg zu vermeiden. (...) Rußland ist im Herzen autoritär und
gewohnheitsmäßig expansionistisch. Mit einer ausgebildeten Bevölkerung
und riesigen Ressourcen - nun unbehindert von kommunistischer
Last - wird Rußland wieder zur Supermacht aufsteigen. Es ist eindeutig
dazu bestimmt, nach Westen und Süden zu blicken, um seine irredentistischen
Karieslöcher zu stopfen.« Ein erneuerter Konflikt und ein neuer »Vorhang« zwischen West
und Ost sind weder erstrebenswert noch unausweichlich, auch wenn
die Huntingtons jeglicher Couleur - »atlantischer«, »eurasischer«,
katholischer, protestantischer, orthodoxer, muslimischer oder
sonsteiner - uns das einreden wollen. Doch eine von wechselseitigem
Verstehen-Wollen getragene Annäherung kann sich, nach Jahrhunderten
der Entfremdung, nicht »von selbst« vollziehen - sie verlangt
den Menschen guten Willens eine innere Aktivität ab, eine persönliche
Suche nach derjenigen geistigen Substanz, welche die Kraft enthält,
Menschen unterschiedlichster Herkunft und Abstammung als Individuen
zusammenzuführen. Diese Suche führt jeden früher oder später zu
der Frage: Was ist der Grund und das Ziel meines Menschseins?
Dabei kann es sich als hilfreich erweisen, wenn man sich bewußt
macht, daß in tieferen Schichten der Menschheitsentwicklung schon
immer auf eine geistige Verbindung zwischen West und Ost hingearbeitet
wurde. So trafen im 8./9. Jahrhundert in der Mitte Europas zwei
christliche Strömungen aus Okzident und Orient aufeinander, um
sich wechselseitig zu befruchten. Auf beider Grundlage sollte
eigentlich die nachbarschaftliche Begegnung zwischen Deutschen
und Slaven erfolgen, die damals ihren Anfang nahm. Die Christianisierungsversuche
von Menschen, welche als historische Träger jener beiden Ströme
wirkten, wurden aber gewaltsam abgebrochen. Gleichzeitig begann
ein Kampf gegen das erwachende menschliche Ichbewußtsein, der
bis in die Gegenwart fortdauert. Dieser Kampf hatte verheerende
Auswirkungen nicht nur auf die allgemeine Entwicklung in den christlichen
Kulturräumen, sondern insbesondere auch auf das nachbarschaftliche
Verhältnis zwischen Deutschen und Slaven. Denn er steht hinter
jenem tiefsitzenden, verdunkelnden und spaltenden Nicht-verstehen-Können,
das in die »Urkatastrophe« des 20. Jahrhunderts führte - in den
Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Das Zusammenwirken westlicher und östlicher Geistesströme zur
Schaffung einer im menschlichen Selbst wurzelnden Mitte, die beide
Elemente versöhnt, in sich vereint und erhöht, erfolgte vor einem
Jahrtausend dennoch - fern allen äußeren Geschehens, im Verborgenen.
Wolfram von Eschenbach deutete hierauf in seinen Versepen »Parzival«
und »Titurel«. Äußerlich kulturbestimmend hingegen wurde seit
dem 9. Jahrhundert die Trennung zwischen einem westlich-lateinischen
und einem östlich-griechischen Kulturraum, die Kirchenspaltung
zwischen Rom und Byzanz. Die Folgen dieser Trennung, die erst
im Jahr 1054 förmlich eintrat, tatsächlich aber bereits im Jahr
870 geistig vollzogen wurde, gaben der Geschichte bis auf den
heutigen Tag einen prägenden Verlauf. Ruft man sich jene fernen
Ereignisse ins Bewußtsein, erscheint das gegenwärtige Geschehen
in seiner wahren weltgeschichtlichen Dimension. Welche geistige
Substanz die Strömungen aus Okzident und Orient enthielten, wie
sie sich in der Mitte begegneten, was sie den Menschen zu geben
versuchten, und auf welche Weise man sie zu zerstören trachtete:
davon handelt dieses Buch.
Kyrill und Method mit den Schutzheiligen Clemens und Andreas,
den Erzengeln Michael und Gabriel
Fresko in der Unterkirche von S. Clemente, Rom (9. Jh.)
In Rhythmen, Harmonien und Disharmonien schwingende Bewegung durchdringt
die Natur und ihre Elemente, die Menschen- und die Götterwelt
gleichermaßen. Über die Rhythmen von Musik und Tanz inwendig mit
der Elementarwelt und dem Kosmos verbunden, erlebte der Kelte
seine Götter in steter Gestaltwandlung, die sich begrifflich nicht
fixieren ließ, sondern innerlich immer wieder neu durchlebt und
erfahren werden mußte. Somit erklärt sich die Reaktion des Keltenhäuptlings
Brennos, als er die Statue des Apollon im Allerheiligsten zu Delphi
erblickte: »Brennos brach in Lachen aus angesichts der Tatsache,
daß man den Göttern menschliche Gestalten zugemutet und sie aus
Holz und Stein hergestellt hatte.« (Diodoros von Sizilien: Bibliothkê istorikê XXII.) Für ihn war die gedanklich-künstlerische Fixierung eines
Gottes lächerlich und unbegreiflich. Für das Heiligste der Griechen,
die göttliche Vollkommenheit der menschlichen Körpergestalt, fehlte
ihm jeder Sinn. Wenn die Kelten als Folge des Austauschs mit den
Mittelmeerkulturen dennoch Götterstatuen fertigten, waren die
Erzeugnisse willentlich verfremdet oder entstellt: »Den Götterstatuen
mangelt es an künstlerischer Qualität, und sie zeigen die Häßlichkeit
von verstümmelten Rümpfen«, schrieb Lucanus (Pharsalia III, 412). Dies lag nicht am mangelnden handwerklichen Können
der keltischen Künstler, sondern an einer gänzlich anders gearteten
Bewußtseinshaltung und Religiosität. Was die Kelten in ihrer reichen Mythologie, in Musik, Poesie,
Kunst und Handwerk zum Ausdruck brachten, waren nicht Abbildungen
göttlicher Wesen, sondern rhythmische und formenschaffende Gesetzmäßigkeiten
göttlicher Wandlung und Offenbarung. Der Wille zur Umbildung und
Metamorphose drang nicht nur in den anschaulichen Formen der keltischen
Kunst in den Vordergrund, sondern auch in ihrer Auffassung seelischer
und geistiger Wesenheiten. Ein Wesen, ob Gott oder Mensch, war
für sie niemals etwas Fertiges, Abgeschlossenes, sondern ewig
im Werden, in Entwicklung begriffen. Die führenden Vertreter des Keltentums wußten, daß auch Götter
Taten vollbringen und eine Art von Schicksal besitzen, durch welches
sie die Kraft zur Weiter- und Höherentwicklung erringen. Ewig
unveränderliche Gottheiten, ein statischer Kosmos, waren dem keltischen
Bewußtsein fremd. Während die Griechen zur selben Zeit die Grundlagen
der abendländischen Philosophie, des analytischen und logischen
Denkens schufen, entwickelten die Kelten eine andere, komplementäre
Qualität. Für die Druiden schien es nichts Schlimmeres zu geben
als feststehende Definitionen, wie Diodoros von Sizilien berichtet:
»Wenn man sich mit ihnen unterhält, reden sie wenig; sie sprechen
in Rätseln und zeigen in ihrer Ausdrucksweise eine Vorliebe dafür,
das meiste erraten zu lassen. Übertreibungen gebrauchen sie häufig
(...).« (Bibliothkê istorikê V, 31.) Sechs Monate später, am 1. November, der »Weltenmitternacht« und
der Zeit des wichtigsten sakralen Festes Samain ('Vereinigung,
Kommunion'), öffneten sich die Pforten der Tír nAill, der »Anderswelt«.
Es war die Zeit der Begegnung zwischen den Lebenden und den Toten,
zwischen Göttern, Menschen und Dämonen. Die Festeszeit, in der
sich alle an heiligen Orten versammeln mußten, begann drei Tage
vor und endete drei Tage nach Samain. Diese sieben Tage waren
im keltischen Bewußtsein jenseits der Zeit: sie leiteten Neujahr
ein, gehörten nicht mehr zum alten Jahr und noch nicht zum neuen.
An Samain herrschte die Finsternis: »Groß waren Dunkelheit und
Schrecken dieser Nacht, und Dämonen pflegten immer in dieser Nacht
zu erscheinen.« Der König erfuhr einen rituellen und symbolischen
Tod, auch Götter und Helden starben. Alle Feuer wurden gelöscht.
Doch an dem Tag, an dem die Mächte der Finsternis ihre größte
Kraft entfalten konnten, wurde durch »den zeugenden Tod« der Keim
zu neuem Leben, zur Auferstehung des Entschwundenen, zum Sieg
des Lichtes über die Finsternis geschaffen. Samain war deshalb
das »Osterfest der Heiden«, wie der christliche Aufzeichner der
irischen Ordalien (Gottesurteile) bemerkte. In den keltischen Sagen wurde zum Ausdruck gebracht, daß der Mensch
nur mit Hilfe von Opfertaten und Verwandlungskraft in verschiedenen
Daseinswelten zugleich bestehen kann. In der elementarischen Welt,
so unterwiesen die Druiden ihre Schüler, herrscht das Gesetz der
permanenten Wesensverwandlung sowie der Umkehrung oder Spiegelung
physischer Gegebenheiten und Gesetzmäßigkeiten. Wollte der einzuweihende
»Held« in dieser verwirrenden Welt sein Selbst bewahren, mußte
zuerst er die notwendige Seelenstärke erringen, um allen »Abenteuern«
und »Gefahren« siegreich begegnen zu können. Die in Irland äußerst beliebte Sagengattung der Immrama, der »Seefahrten«,
umschrieb die Geschehnisse in der elementarischen und seelischen
Welt, dem »wogenden Meer«, in imaginativen Bildern. So schildert
die irische Sage Immram curaig Maíle Dúin (»Die Seefahrt des Bootes von Mæl Dúin«) das Gesetz der Wesensverwandlung:
»Am frühen Morgen des dritten Tages nahmen sie eine andere Insel
wahr, auf der eine metallene Palisade stand, welche die Insel
in zwei Hälften teilte. Es gab dort viele Schafherden: eine schwarze
Herde auf der einen Seite der Palisade und eine weiße Herde auf
der anderen Seite. Und sie sahen einen riesigen Mann, der die
Schafe trennte. Immer wenn er ein weißes Schaf über den Zaun zu
den schwarzen Schafen warf, wurde jenes sofort schwarz. Ebenso
wenn er ein schwarzes Schaf über den Zaun warf, wurde dieses sofort
weiß.« Schließlich wirft Mæl Dúin einen schwarzen Zweig auf die
Seite der weißen Schafe, wo er weiße Farbe annimmt; als er jedoch
einen weißen Zweig zu den schwarzen Schafen wirft, wird dieser
schwarz. Auch dem walisischen Helden Peredur, einem Vorläufer des Parzival,
begegnet auf seiner Queste, seiner inneren Suche, diese Imagination:
»Und auf der einen Seite des Flusses konnte er eine Herde weißer
Schafe sehen, und auf der anderen Seite eine Herde schwarzer Schafe.
Und immer wenn ein weißes Schaf blökte, kam ein schwarzes Schaf
über den Fluß und wurde weiß; immer wenn ein schwarzes Schaf blökte,
kam ein weißes Schaf über den Fluß und wurde schwarz. Und er sah
einen großen Baum auf dem Flußufer: Die eine Baumhälfte brannte
von der Wurzel bis zur Krone, die andere Baumhälfte trug grünes
Laub.« In der Verwandlungsgabe, der Fähigkeit zur Metamorphose, erblickten
die Druiden also eine Grundeigenschaft der göttlichen Schöpfung.
Denn »Schöpfung« war ein ununterbrochenes Wirken der Götter, das
vom geistig strebenden Menschen stets von neuem forderte, sich
den dynamisch-veränderlichen Realitäten der übersinnlichen »Anderswelt«
anzugleichen. In diesem Sinne stellte auch die Annahme des Christentums
in den Augen der führenden Vertreter des Keltentums keinen Bruch
mit der vorchristlichen Religion dar, sondern eine durch die kosmische
Fortentwicklung notwendig gewordene geistige Erneuerung, da sich
die Erde selbst durch das Opfer Jesu Christi verwandelt hatte.
Darum konnte im 6. Jahrhundert n. Chr. der walisische Barde Taliessin
die christliche Religion mit den vorchristlichen Lehren verbinden,
um anzudeuten, wie die alten Kulte mit dem Erscheinen Jesu Christi
ihre Erfüllung gefunden hatten: »Christus, das uranfängliche Wort,
war uranfänglich unser Lehrer, und nie sind wir von Seiner Lehre
abgewichen. Für Asien war das Christentum etwas Neues; aber zu
keiner Zeit ließen die Druiden von Britannien von Seinen Lehren
ab.« Dabei hätte sich Taliessin sogar auf den Kirchenvater Augustinus
berufen können, der einmal den schönen Satz niederschrieb: »Was
man gegenwärtig die christliche Religion nennt, bestand schon
bei den Alten und fehlte nicht in den Anfängen des Menschengeschlechts,
bis Christus im Fleische erschien, von wo an die wahre Religion,
die schon vorher vorhanden war, den Namen der christlichen erhielt«
(Retractationes, De vera religione I, 13.3). In den heiligsten Mysterien des Westens erwartete man den kommenden
Weltenerlöser und erzog auserwählte Vertreter des Keltentums in
einer gemütdurchdrungenen Adventsstimmung. Die Saga Immram Brain mac Febail (»Die Seefahrt von Bran mac Febal«) schildert, wie dem irischen
Helden Bran durch eine geheimnisvolle Frau »aus unbekannten Ländern«
auf dem jenseitigen »Meer der Elemente« eine Offenbarung zuteil
wird: »Nach Jahrhunderten wird eine große Geburt erscheinen, aus den
Höhen steigt Er hernieder: der Sohn einer Jungfrau ohne Gemahl,
König wird Er sein über die vielen Tausend, König ohne Anfang
und Ende; die ganze Welt hat Er erschaffen, Sein sind Land und
See, wehe dem, der Seinen Zorn auf sich zieht. Er ist es, der
die Himmel erschaffen, glückselig die reinen Herzens; reinigen
wird Er die Scharen in einem heiligen Quell, Er ist es, der eure
Krankheiten läutern wird. Nicht an euch alle richtet sich meine Rede, obwohl ich große Mysterien
enthülle. Unter den Scharen der Welt möge allein Bran lauschen,
welche Weisheit ich ihm offenbare. (...) Ein edler Erlöser wird
kommen, vom König, der die Himmel erschaffen; ein lichtes Gesetz
wird über das Meer kommen, Gott und auch noch Mensch wird Er sein.«
Tatsächlich konnte man in den heiligsten Mysterienstätten des
Keltentums das Erscheinen Christi in der Erdsphäre geistig wahrnehmen.
Man erahnte die Größe der Opfertat, welche die Gottheit vollbrachte,
um aus dem Weltenkosmos in die Aura der Erde einziehen zu können,
um als Rí nan Dul (»König der Elemente«) die Elementarreiche zu durchstrahlen.
In dem Manuskript des Lebor Lagin (»Buch von Leinster«, um 1150)
ist eine irische Sage erhalten (Version A nach Meyer), die dieses
Erleben indirekt widerspiegelt. Die Sage Aided Conchobuir handelt
vom Tod des Königs Conchobar von Ulster: Während einer Schlacht
dringt Conchobar eine aus Hirn und Kalk gefertigte Kugel in den
Kopf, die nicht mehr entfernt werden kann. Aus diesem Grund darf
er sich nicht mehr erregen, da er sonst an der Verletzung sterben
müßte. »So ging es bis zu dem Tag, an dem er hörte, daß [Jesus]
Christus von den Juden gekreuzigt wurde. Dieses Verbrechen brachte
die gesamte Natur zum Erbeben. Himmel und Erde bebten (...) »Was
bedeutet dies Zeichen?», fragte Conchobar seinen Druiden. »Welch
großer Frevel wird heute begangen?» [Und der Druide erzählt Conchobar,
daß in diesem Moment in Palästina Jesus Christus gekreuzigt wird.]
»Das Wesen, das gerade gekreuzigt wurde, ist in derselben Nacht
wie du geboren, aber nicht im selben Jahr.» Da glaubte Conchobar
an Jesus Christus. Er ist der eine von zwei Menschen in Irland,
die sich vor der Ankunft des Glaubens zum Wahren Gott bekannten.«
Conchobar gerät nun derart in Zorn über das Unrecht, das Jesus
Christus angetan wird, daß er an seiner Verletzung stirbt. Eine andere Version dieser Legende aus dem Manuskript Liber Flavus
Fergusiorum (Version C nach Meyer) enthält eine bemerkenswerte
Variante: Conchobar fragt den Druiden Bochrach aus Leinster um
Neuigkeiten, woraufhin dieser antwortet: »Es gibt wahrhaft große
Neuigkeiten, die sich im Osten der Welt zugetragen haben, nämlich
die Kreuzigung des Königs von Himmel und Erde durch die Juden.
Er ist es, den die Seher und Druiden verkündet haben« (is é rotirchansat fáidhi & dráidhthi). Der Druide erzählt Conchobar von Jesus Christus, woraufhin sich
der König bekehrt. Danach schildert Version C jedoch fast entschuldigend
den gleichen Hergang wie Version A, die offensichtlich die ursprüngliche
Überlieferung wiedergibt, und ergänzt: »Von daher sagen die Gaelen,
daß Conchobar der erste Heide in Irland war, der in den Himmel
aufstieg, denn das aus seinem Kopf schießende Blut taufte ihn.
Und dann fuhr Conchobars Seele zur Hölle, bis ihr Christus begegnete,
als Er die gefangene Schar [der Menschenseelen] aus der Hölle
befreite. So nahm Christus die Seele von Conchobar mit Sich in
den Himmel. Man hat gegen diese Überlieferung oft eingewendet,
daß es sich hierbei um den späteren Nachtrag eines Mönchs handeln
könnte, der die irischen Helden in ein christliches Gewand hüllen
wollte. Dies kann natürlich nicht ausgeschlossen werden, aber
es ist dennoch äußerst ungewöhnlich und für die Eigenart des irischen
Christentums kennzeichnend, daß ein christlicher Mönch den heidnischen
Druiden eine geistige Schau der Karfreitagsgeschehnisse zubilligt.
Eine vergleichbare Tatsache, daß nämlich die Belehrung über das
Zentralereignis der christlichen Religion aus dem Mund eines heidnischen
Priesters ertönt, läßt sich in keiner anderen Überlieferung finden.
In einem Vortrag hat Rudolf Steiner auf den Kern dieser Legende
gedeutet, hinter der sich die übersinnliche Schau eines Geschehens
in der Aura der Erde verbirgt: »Was sich in Palästina wirklich
zutrug, das trug sich in hundertfältiger Weise bildhaft zu, ohne
daß das Bild das Andenken an Vergangenes war, auf der hibernischen
[irischen] Insel. Auf der hibernischen Insel erlebte man in [übersinnlichen]
Bildern das Mysterium von Golgatha gleichzeitig, während sich
das Mysterium von Golgatha historisch in Palästina zutrug. (...)
Das bedeutet die Größe alles dessen, was später gerade ausgegangen
ist für die übrige Zivilisation von dieser hibernischen Insel.«
Daß dieser Vorgang ausgerechnet auf Irland eintrat, ist von Bedeutung.
Denn die Insel blieb die einzige keltische Region, die von den
Römern nicht erobert wurde, obwohl die Römer wiederholt mit dem
Gedanken einer Invasion spielten. Tacitus etwa berichtete: »Ich
habe oft die Ansicht gehört, daß man Hibernia mit einer einzigen
Legion und einigen Hilfstruppen bezwingen und halten könnte. Diese
Eroberung würde sich auch für Britannien als vorteilhaft erweisen,
da man ihr durch die Allgegenwart der römischen Waffen sozusagen
die Sicht der Freiheit entziehen würde« (Agricola XXIV). Die römischen Hegemonialpläne wurden nicht verwirklicht.
Dadurch konnte es in Irland zu der einmaligen, weil unverfälschten
Begegnung des Christentums mit einem noch intakten keltischen
Druidentum kommen. Wandlungsstärke, Opfermut, willenhaftes Streben
und tiefe Gemütskraft bildeten den geeigneten Boden für die Annahme
eines Glaubens, der auf der »Grünen Insel« nicht in der Tradition,
sondern in unmittelbarer geistiger Anschauung wurzelte.
Alles befindet sich in Entwicklung, und die Welt der Götter ist
davon nicht ausgeschlossen. So lautete einer der Grundgedanken
der altkeltischen Jenseitsvorstellungen. Dies hat in überzeugender
Weise der Franzose Lancelot Lengyel anhand der keltischen Numismatik
und Mythologie dargelegt. Jener Gedanke beinhaltete »die Idee,
daß Gott Bewegung ist, was impliziert, daß ebenso Schöpfung und
letzten Endes auch Existenz Bewegung ist. (...) Bewegung, im Verständnis
der Kelten, ist die aktive schöpferische Kraft der Durchdringung,
der Umwandlung und der Erneuerung: sie ist Evolution in Reinkultur.
(...) Die Essenz des Universums ist kosmogonische Bewegung. Sie
umfängt Götter als Ströme, die aus der Quelle hervorgehen, nicht
als die Quelle selbst.«
Die Möglichkeit der Metamorphose und damit der Entwicklung war
nach keltischer Auffassung kraft einer der Schöpfung zugrunde
liegenden dualistischen Spannung der Gegensätze von Licht und
Finsternis, von Leben und Tod, von Werden und Vergehen gegeben.
Die Polaritäten wurden von den keltischen Priestern nicht in abstrakte
moralische Kategorien wie »Gut und Böse« gefaßt, sondern als konkrete
Seinszustände, Wesenssphären verstanden, die schöpferisch oder
zerstörerisch wirken konnten und in ein kosmisches Gleichgewicht
gebracht werden mußten.
Diese Lehre fand ihren Niederschlag in den keltischen Jahresfesten:
Am 1. Mai wurde Beltaine gefeiert, das Lichtfest der erhabenen
Gottheit Lug (kymrisch: Llew, gallisch: Belenus, der keltische
Apollon). Es war die Zeit der großen Druidenversammlungen und
der Feuerfeste, »Weltenmittag«: »Beltaine, Feuer des Bel, segenreiches
Feuer, das heißt ein Feuer, welches die Druiden durch ihre Magie
oder durch große Beschwörungen entfachten; und jedes Jahr trieb
man die Herden [um sie] gegen die Seuchen [zu schützen] zu diesen
Feuern. Sie trieben die Herden zwischen den Feuern hindurch.«
Wenig später, am 25. September 869, trafen drei römische Legaten
- der Diakon Marinus aus dem Kreis der »Camorra«, Bischof Donatus
von Ostia und Stephanus von Nepi - zur Vorbereitung des VIII.
Ökumenischen Konzils in Konstantinopel ein. Die Legaten hatten
ausdrückliche Weisung, das Konzil dahingehend zu leiten, daß die
römischen Beschlüsse vom Sommer bedingungslos zur Durchführung
kämen. In diesem Sinne wurde die Versammlung am 5. Oktober 869
in der Hagia Sophia eröffnet, vor der mageren Kulisse von nur
etwa dreißig Personen, da die geforderte Unterzeichnung des libellus
auf größten Widerstand stieß. Unsere Kenntnis vom Verlauf und Inhalt der Sitzungen geht zum
großen Teil auf die persönlichen Aufzeichnungen des Anastasius
Bibliothecarius zurück; er war an der Erstellung der Beschlüsse
nicht beteiligt gewesen, reiste aber dennoch in Begleitung der
kaiserlichen Vertrauten Suppo und Eberhard nach Konstantinopel,
diesmal im Auftrag des Kaisers Ludwig II., um für dessen Tochter
Ermengarde am byzantinischen Kaiserhof eine Heirat zu vermitteln.
Dieser Umstand sollte sich als Schicksalsführung erweisen, da
die offizielle päpstliche Gesandtschaft wahrscheinlich im Auftrag
des byzantinischen Kaisers auf dem Rückweg von Seeräubern überfallen
und all ihrer Dokumente beraubt wurde. Die erhaltene griechische
Fassung der Konzilsprotokolle ist um 13 Canones gekürzt, vollständig
erhalten sind lediglich die »Privataufzeichnungen« von Anastasius.
»Hätten die Legaten Anastasius nicht gestattet, (...) von den
Dokumenten eine Kopie anzufertigen, würden wir niemals erfahren
haben, was sich in Konstantinopel in den Jahren 869/70 wirklich
zutrug.« Auf der fünften Sitzung des Konzils, am 20. Oktober, wurde Photios
vorgeführt. Die päpstlichen Legaten fragten ihn: »Nimmst du die
Beschlüsse der Päpste, insbesondere die des Papstes Nicolaus an?«
Photios blieb stumm. »Anerkennst du die Bestimmung des Papstes
Hadrianus?« Wieder gab der Befragte keine Antwort. Da schrien
ihm die Legaten in höchstem Zorn zu: »Du bist ein Frevler und
Ehebrecher.« Photios erwiderte nur: »Gott hört mich, auch wenn
ich schweige.« - Die Legaten: »Dein Schweigen wird dich nicht
retten!« - Photios: »Auch Jesus ist durch Schweigen der Verurteilung
nicht entgangen.« Diese Antwort löste einen Sturm der Entrüstung
aus. Bis zum Ende der Sitzung schwieg der Grieche. Photios und seine Anhänger wurden im weiteren Verlauf gemäß den
Vorlagen aus Rom in Grund und Boden verdammt. Im 21. Canon wurde
der Vorrang der Römischen Kirche vor allen anderen festgeschrieben:
» aber auch kein anderer soll Aufzeichnungen und Reden gegen den
heiligsten Papst des älteren Rom verfassen und zusammenstellen
unter dem Vorwand, bestimmte Vergehen gleichsam ruchbar zu machen
(...).«Diesbezüglich war Anastasius zufrieden, gestand er doch
selbst, daß er auf jenen Moment »sieben Jahre lang energisch«
(per septennium ferme) hingearbeitet hatte (also seit 862/63). Auffallenderweise wurde
auf dem Konzil die Frage über den Hervorgang des Heiligen Geistes
- der Filioque-Streit - überhaupt nicht berührt. Die lateinischen
Konzilsteilnehmer hüteten sich nicht nur davor, die Debatte um
das Filioque zur Sprache zu bringen, sondern präzisierten sogar
den griechischen Standpunkt. Nahezu unbemerkt schlich sich in die Bestimmungen des Konzils
ein Satz, der für die weitere Entwicklung der Christenheit wesentlich
einschneidendere Folgen haben sollte als die Verurteilung des
Photios. Indem die inzwischen 103 anwesenden Bischöfe die angeblich
von Photios vertretene »Lehre von den zwei Seelen« als Häresie
abstempelten, wurde damit - wenn nicht ausdrücklich, so doch der
Intention nach - die Lehre von der menschlichen Trichotomie (die
Unterscheidung von Leib, Seele und Geist als drei Wesensteilen
des Menschen) aus dem christlichen Denken getilgt. Als auf der entscheidenden zehnten Sitzung des Konzils am 28.
Februar 870 Photios und die sogenannte »Zwei-Seelen-Lehre« mit
dem Bannfluch belegt wurden, war Anastasius zugegen. Er hielt
den Wortlaut der 27 Konzilsbeschlüsse fest; dort heißt es im XI.
Kanon: »Während das Alte und das Neue Testament lehren, der Mensch
habe nur eine denkfähige und vernünftige Seele (unam animam rationabilem et intellectualem) und alle gottesgelehrten Väter und Lehrer der Kirche eben diese
Meinung bekräftigen, sind einige, auf die Erfindungen der Bösen
eingehend, zu solcher Frevelhaftigkeit herabgesunken, unverschämterweise
den Lehrsatz vorzutragen, er habe zwei Seelen (duas eum habere animas); weiterhin versuchen sie, in gewissen unvernünftigen Bemühungen
mit Gelehrsamkeit, welche sich als töricht erwiesen hat, ihre
eigene Häresie zu bekräftigen. Daher beeilt sich diese heilige
und universelle Synode, diese nichtsnutzige Meinung, die da keimen
will wie das übelste Unkraut, auszureißen, und indem sie in der
Hand die Wurfschaufel der Wahrheit trägt und die ganze Spreu einem
unauslöschlichem Feuer übergeben und die Tenne Christi rein machen
will, verflucht sie die Urheber und Vertreter dieser Gottlosigkeit
und alle, die in diesen Dingen Ähnliches gelten lassen, mit lauter
Stimme. Sie bestimmt und gibt bekannt, daß hinfort niemand in
irgendwelcher Weise die Grundsätze der Urheber dieser Gottlosigkeit
besitzen und aufbewahren dürfe. Wenn aber einer sich herausnehmen
sollte, im Gegensatz zu dieser heiligen und großen Synode zu handeln,
so sei er verflucht und ausgeschlossen vom Glauben und Kult der
Christen.« Es handelte sich bei der sogenannten »Zwei-Seelen-Lehre« des Photios
um nichts anderes als um die in der Urkirche bekannte und gebrauchte
Unterscheidung des menschlichen Geistes (pneumatikos anthrôpos), der menschlichen Seele (psychikos anthrôpos) und des physischen Leibes des Menschen (sarkikos oder sômatikos anthrôpos), wie man sie beim Apostel Paulus wiederfindet (1. Kor. II, 14-15):
»Der seelische Mensch kann nicht in sich aufnehmen, was aus dem
Gottesgeist hervorfließt. Es ist für ihn Torheit; er kann es nicht
erkennend aufnehmen, weil es nur mit Hilfe des Geistwesens erfaßt
werden kann. Der geistige Mensch jedoch vermag alles zu erfassen,
ihn aber vermag niemand zu erfassen.« Im 1. Brief an die Thessaloniker
(V, 23) schreibt Paulus: »(...) es bleibe rein und ungetrübt euer
Geist, eure Seele und euer Leib«. Und im Römerbrief (VIII, 15-16)
formuliert er: »Ihr habt den Geist empfangen, der euch zu Söhnen
macht, der Geist, in dem wir rufen: Abba, Vater! Euch ist der
Geist der Sohnschaft gegeben. Er gibt uns das Recht, Gott als
Vater anzurufen. Dieser Geist bestätigt es uns in Übereinstimmung
mit unserem eigenen Geist, daß wir Gottes Kinder sind.« Diese Unterscheidung wurde unter anderem auch vom hl. Irenaeus
getroffen: »Denn etwas anderes ist der Hauch, der den Menschen
beseelt, und etwas anderes der belebende Geist, welcher ihn vervollkommnet,
bis er geistig wird« (V, 12), wie auch von Klemens von Alexandreia
und dem frühen Augustinus: »Und drei sind die Teile, aus denen
der Mensch besteht: der Geist, die Seele und der Leib« (De fide et symbolo, Kap. X), von Origenes und von Dionysios Areopagites. In gnostischen
und manichäischen Gemeinden war die Trichotomie ohnehin selbstverständliches
Allgemeingut. Sie war noch im 14. Jahrhundert den letzten Katharern
vertraut: »Es gibt im Menschen zwei verständige Substanzen, das
heißt zwei Seelen, oder: eine Seele und einen Geist. Erstere bleibt
im Menschen, solange er lebt, aber die andere, der Geist, kommt
und geht und bleibt nicht immer im Menschen.« »Weil die Theologen diese Tatsache der biblischen Trichotomie
natürlich kannten, wagten sie es nicht, durch Konzilsbeschluß
einer Offenbarungslehre offen zu widersprechen. (...) Scheinbar
verurteilt das Konzil nur die von Photios vertretene Lehre von
zwei Seelen im Menschen. Wer aber wie Photios von der Zweiheit
der Seelen sprach, der hatte nichts anderes dabei im Sinn als
die Zweiheit von Seele und Geist, einerlei ob er dabei die Platonische
Trichotomie oder den manichäischen Dualismus zugrunde legte. (...)
Verdammt also das Konzil dem Wortlaut nach schlauerweise nur die
Lehre von den zwei Seelen, so verketzert es dem Sinne nach nichts
anderes als die Anerkennung des Geistes neben der Seele. (...)
Tatsache ist, daß die Kirche seit jener Zeit nur noch von des
Menschen Seele sprach und den Geist herausdrängte aus der Weltanschauung.«
Gerade das Wissen von dem verborgenen geistigen Wesenskern, dem
höheren Selbst des Menschen, wollten führende Kreise innerhalb
der Kirche aus dem Bewußtsein der Christenheit bannen - und eben
dies wurde durch die Unterzeichnung des Kanon erreicht; seit diesem
Zeitpunkt durfte im Rahmen der kirchlichen Lehre nicht mehr vom
Menschen als einem geistigen Wesen gesprochen werden. Damit wurde
indirekt bestritten, daß es dem Menschen möglich ist, ein höheres
geistiges Selbst in sich zu erwecken. Durch den Konzilsentschluß
offenbarte sich diesselbe finstere Macht, die zwei Jahrhunderte
zuvor den »Impuls« der persischen Akademie von Gondesahpur ausgelöst
hatte. Christliche Gemeinschaften, die noch um die Trichotomie
wußten, wurden seit jenem Konzil zu Ketzern abgestempelt und notfalls
mit Gewalt zum Schweigen gebracht. Künftig sollten die kirchlichen
Dogmen der Seele einen fest umrissenen Glaubensinhalt suggerieren.
Denn wie Paulus wußte man, daß »der seelische Mensch nicht in
sich aufnehmen kann, was aus dem Gottesgeist hervorfließt«, und
an die Stelle des »alles erkennenden geistigen Menschen« sollten
die dogmatischen Formeln treten.
Im Sommer 869 tagte in St. Peter zu Rom eine Synode, auf der Photios
sowie alle durch ihn geweihten Geistlichen verurteilt und abgesetzt
wurden. Kirchliche Würdenträger, die noch von Ignatios geweiht
worden waren und sich später Photios angeschlossen hatten, sollten
nur dann in ihrem Amt bestätigt werden, wenn sie den von Rom ausgestellten libellus satisfactionis - ihren Unterwerfungseid und die Anerkennung des päpstlichen Primats
- ohne Widerspruch unterzeichneten. Die Akten der Synode von 867,
auf der Photios Papst Nicolaus abgesetzt hatte, wurden feierlich
verbrannt.
Verlag Urachhaus GmbH
|